Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

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nämlich ich und der Bruder Fritz, der dritte in der Reihe. Die Eltern 
hielten den Herbst und Winter, wo sie am meisten Muße hatten, ordentlich 
Schule mit uns. Schreiben und Rechnen lehrte der Vater, und die 
Mutter hielt Leseübungen und machte unsere jungen, flatternden Geister 
durch Erzählungen und Märchen lebendig, die sie mit großer Anmut 
vorzutragen verstand. Das Lesen aber ging in den ersten Jahren fast 
nicht über Bibel und Gesangbuch hinaus, ich möchte sagen, desto besser 
für uns. Sie war eine fromme Frau und eine gewaltige Bibelleserin, 
und ich denke, ich habe die Bibel wohl drei-, viermal mit ihr durchgelesen. 
Das Gesangbuch mußte auch fleißig zur Hand genommen werden, und 
den Samstag nachmittag mußten die Jungen unerläßlich entweder ein 
aufgegebenes Lied oder das Sonntagsevangelinm auswendig lernen. Das 
geschah, weil sie eine sanfte und liebenswürdige Schulmeisterin war, mit 
großer Freude und also mit großem Nutzen. Muße aber hatte sie 
ungeachtet einer nicht starken Gesundheit, der vielen Kinder und der großen 
Wirtschaft, die mit Sparsamkeit geführt werden mußte, mehr als die 
meisten andern Menschen. Wenn alles längst vom Schlafe begraben lag, 
saß sie noch auf und las irgendein frommes oder unterhaltendes Buch, 
ging 'selten vor Mitternacht zu Bette und war im Sommer mit der 
Sonne wieder auf den Beinen. Weil ich nun auch ein solcher Kauz 
war, der selbst im Knabenalter wenig Schlaf bedurfte und deswegen 
„Lewark" (Lerche) zugenannt war, so habe ich in jenen Kindertagen und 
anch später noch manche Abende und Nächte bis über die Gespensterstunde 
hinaus mit ihr durchgesprochen und dnrchgelesen. 
Keinen Sonntag ward die Kirche ohne den gültigsten Grund versäumt, 
bei schlechtem Wetter hingefahren, bei schönem und int Sommer hingegangen, 
wo der Vater dann seine älteren Buben neben sich her laufen ließ. 
Frühling und Sommer gingen freilich nicht ganz ohne Schule hin; 
indessen war die Schule unter den Gespielen in Feld und Wald und auf 
Wiesen und Heiden und unter Blumen und Vögeln wohl die beste. Doch 
ließ der Vater uns nicht immer bloß wild und wie aufs liebe Ungefähr 
herumlaufen, sondern wußte es meistens so einzurichten, daß wir beim 
Herumspringen lmb Herumspielen irgend etwas auszurichten und zu 
bestellen hatten. In der Zeit aber, wo auf dem Lande alle Hände 
angestrengt zu werden pflegten, mußten wir älteren Buben nach unsern 
kleinen Kräften auch schon mit heran, nämlich in der Zeit der Saat und 
der Ernte, vorzüglich in der letzteren. Da ward ich wohl zuweilen ein 
göttlicher Sanhirt oder Kuhhirt und mein Bruder Karl, der Rossetummler, 
der eigentlich den mir abgestrittenen Namen Philipp hätte haben sollen, 
ein flinker Rossehüter. Ich erntete wegen meiner sorgsamen Gewissen¬ 
haftigkeit nicht mißzuhüten auch hier Lob ein, und noch leuchten mir die 
ersehnten, schimmernden Abendröten, da ich fröhlich meine Kuhherde in 
den Hof trieb und dann geschwind noch in der Abenddämmerung auf
	        
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