Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

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der sich zwischen diesem Landstreifen und der Insel Alsen, von ferne kaum 
bemerkbar, auftut. Das erste, was uns hier am Strande von Alfen ins 
Auge fällt, ist das düstere, braunrote Sonderburger Schloß; eiu noch viel 
unförmlicherer, häßlicherer Ban als das von Glücksburg. Das Gebäude 
dient jetzt als Kaserne; die rohen Backsteinmauern mit den öden Fenster¬ 
löchern und das plumpe Dach haben aber mehr die Trostlosigkeit eines 
Gefängnisses. Und wirklich hat es ja auch als solches eine finstere Be¬ 
rühmtheit erlangt. Hier saß fast zwanzig Jahre lang, von 1531—1549, 
König Christian II., der Böse genannt, der Urheber des Stockholmer Blut¬ 
bades, in harter Haft. 
Sobald aber unser Schiff um die Landspitze am Eingang des Sundes 
herumgebogen ist, entrollt sich das reizendste Bild, das wir auf der ganzen 
Reise sehen können. Auf sanft ansteigendem Ufer liegt überaus malerisch 
aufgebaut der Hauptort der Insel, die kleine Stadt Sonderburg. Sie 
ist mit ihren 5500 Einwohnern eine Hafenstadt en miniature, alles 
charaktervoll, aber ins Kleine übersetzt. Längs des Alsensundes zieht sich 
eine Strandstraße mit einem hölzernen Kai, wie „tyske Brüggen" in 
Bergen; kleine, schwerfällige, rundbauchige Schiffe von altertümlichem Aus¬ 
sehen liegen davor, Giebelhäuschen reihen sich auf der andern Seite 
nebeneinander, in denen Matrosenschenken, Läden mit Schifferbedarf und 
Speicher abwechseln, das Ganze das typische Bild eines Seehafens, aber 
bescheiden und zierlich wie ein Spielzeug. Von der Mitte des Kais führt 
eine bewegliche Pontonbrücke über den hier nur ein viertel Kilometer 
breiten Alsensund zum Festlande. Das Innere Sonderburgs ist das 
übliche einer freundlichen deutschen Kleinstadt ohne besonderes Gepräge; 
nur das an einer Straßengabelung geschickt hingestellte Rathaus mit 
seinem turmgekrönten Giebel gewährt ein interessantes Bild. 
Die städtische Bevölkerung Alfens spricht heute vorwiegend deutsch, das 
Landvolk noch dänisch; die Läden Sonderburgs tragen deshalb vielfach Auf¬ 
schriften in beiden Sprachen. Der Binnendentsche hat kaum eine Ahnung, 
mit welch zäher Erbitterung, in welch leidenschaftlichen Formen der Kampf 
der beiden Nationalitäten in dieser Grenzgegend noch immer fortdauert. 
Noch am Nachmittag desselben Tages fuhr ich mit der Alsen durch¬ 
ziehenden Kleinbahn von Sonderburg nach Augnstenburg, dem Stammsitz 
der Familie unserer Kaiserin. Landschaftlich ist die Fahrt durch die 
glückliche Insel ungemein anmutig. In der Ferne begrenzen leicht 
gebräunte Buchenwälder den Blick, und ab und zu schimmert die tiefblaue 
Fläche des nach Norden immer mehr sich verbreiternden Alfensundes 
herüber. In der Nähe liegen Ackerfelder und Weidegründe zwischen 
geradlinigen Buschhecken, an denen gelbe Kamillen wuchern. Störche 
schreiten ernsthaft über die Wiesen, braune fette Kühe schmausen im Klee, 
und inmitten von Kohlgärten und Blumenbeeten erheben sich die sauberen 
Banernhäuschen mit ihrem Strohdach und den weißgetünchten Schorn-
	        
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