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die Stimme nicht hören, den Himmelsglanz nicht schauen, den Bal¬
sam des Trostes, der auf ihn nieder taute, Ihr fühlt ihn nicht. Ihm
war gewährt, und in dem Augenblicke, wo er sich aufgerichtet in
neuer Kraft, starb er für das alte Leben und für die sündige Welt.“
10. Der Pilger hielt inne. Lautlos hatten sie ihm gehorcht. Ihre
Augen glotzten ihn an wie Trunkne einen Märchenerzähler. Sie
mochten nur lachen, doch der Schauer faßte sie. Nur der Herzog
von Sachsen war in einen Sessel gesunken; und sein Haupt wiegte
sich schwer im Arme. Der von Anhalt schaute vor sich nieder. Der
Erzbischof hielt die Hände auf dem Gürtel gefaltet. Nicht scharf
sah er den Pilger an, aber unter den halb geschlossenen Augenlidern
warf er prüfende Blicke.
„Fordert Ihr des Beweise,“ fuhr der Pilger fort, „die vor dem
Richter dieser Welt gelten? — Wo beweist einer, was zwischen vier
Augen vorging, und zweie davon sind geschlossen! Es war ein treuer
Mann, jener Diener Markgraf Woldemars, das schwör’ ich Euch mit
dem höchsten Eide. Und nie bis heut ging über seine Lippen, was
ihm sein Herr damals gebot. — Es war ein Possenreißer in jener
Nacht gestorben. Ein unbekannter Mensch. Solche Leute kommen
und verschwinden wie die bösen Geister, denen sie geschworen sind.
Den trug der Diener in das Bett des Herrn. Den bedeckte morgens
mit dem Leichentuche der getreue Arzt, um den schrien die Weiber
und lärmte das Ingesinde, um den weinten seine Getreuen, um den
läuteten die Trauerglocken durch das Land Brandenburg, um den zer¬
riß das Volk seine Kleider, und den trugen seine Edeln auf ihren
Schultern nach Chorin, und die Mönche senkten ihn in die Fürstengruft.
Der wahre Woldemar pilgerte durch Waldpfade gen Venedig, wo ein
Schiff ihn hinübertrug nach dem Lande des Gelöbnisses.“
„Beweise!“ rief der Erzbischof.
Da erschraken alle, nur der Pilger nicht. Der Dechant Bruno
hub seine Hand.
„Hoher Herr, als Ihr mich würdigt eines Zeugnisses. Ich weiß
von meinem Vater. Als ein treuer Vasall wollte er noch einmal das
teure Angesicht des toten Herrn sehn. Da ließ der Arzt, der hieß
Meister Hildebrand, ihn nicht zu; denn zu entstellt sei das Gesicht durch
den Todeskampf. Es hat ihn niemand gesehen.“
„So ist’s,“ riefen die Brandenburger.
„So wird der Arzt Zeugnis ablegen,“ sagte der Bischof.
„Der steht seit fünfzehn Jahren vor einem hohem Richterstuhl,“
fuhr Bruno fort. „Auf dem Totenbette quälte ihn ein Bekenntnis, wie
ich es von dem Beichtiger weiß, und eine Angst, die allen seltsam
war, ließ ihn nicht sterben, und doch hatte Gott seine Zunge gelähmt.“