Full text: Deutsche Prosa und Poesie (Teil 4, [Schülerbd.])

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sie und erstreckt sich von da weil nach Westen, ob auch der Pflug von 
allen Seiten vorwärts dringt und ihr Gebiet verkleinert. 
Ochsenfurt hieß das Dorf von altersher, weil dort in jedem Früh¬ 
jahre große Herden magerer Jütochsen über die Au nach dem Süden zum 
Markt in Husum und von da auf die Fettweiden der Marsch, das Paradies 
der Ochsen, getrieben wurden. Und ich dachte: Welche Gegensätze bietet 
doch unser Land! Dort drüben am Horizonte die fette, fruchtbare Marsch, 
wo die Kornhalme rohrdick stehen mit vollen Ähren — und hier die 
dürre Heide! 
Aber in die Zukunft, 20, 30 Jahre weiter, flog mein Blick, und ich 
sah auch hier fleißige Hände sich regen, gelbe Felder wogen und grüne 
Tannen wachsen. Da plötzlich wurden meine Gedanken durch eine auf¬ 
fallende Erscheinung, die ich auf der Heide beobachtete, aus erträumter 
Zukunft in wirkliche Vergangenheit, 2 bis 300 Jahre zurückgelenkt. 
5. Was sah ich denn, ohne zunächst eine Erklärung dafür zu haben? 
Zn gleichen Abständen liefen regelmäßige Furchen, deutlich im Heidekraut 
erkennbar, nach beiden Seiten. Hier schien Menschenhand gewaltet zu 
haben. Und doch war hier Heide gewesen, solange die ältesten Leute sich 
zurückerinnern konnten. 
Mir aber ließ die befremdliche Erscheinung keine Ruhe, und ich sann 
hin und her, bis plötzlich in meinem Gedächtnis auftauchte, was ich in 
alten Chroniken unsers Landes gelesen. Die Kunde vergangner Zeiten 
kam zu mir, und klar wurde es mit einem Male, was die Heidefurchen 
zu bedeuten hätten. Es waren einst Ackerfurchen gewesen! Noch um das 
Jahr 1635 zog hier der Pflug im Herbst und Frühling diese Rillen. Wo 
jetzt nur die Heidelerche ihr Nest baut, standen strohgedeckte Hütten der 
Menschen. Wo jetzt die Heidschnucken kaum ihr Leben kümmerlich fristen, 
weideten einst bunte Kühe. Wo jetzt die Erika, blühte einst der Buch¬ 
weizen und Roggen. Aber mitten im blühenden Wohlstände, da sie säeten 
und ernteten, da sie sorglos saßen in ihren dichtbewohnten Dörfern, kam 
das grause Verderben, das große Sterben — der schwarze Tod, von dem 
die Chronisten mit starrem Entsetzen reden. 
Was die Greuel des Dreißigjährigen Krieges nicht verheert hatten, 
verwüstete dieser Würgengel. Und es war böse Zeit im Lande, wie sie 
nie zuvor gewesen. Da erhob sich groß Geschrei und Wehklagen. Aber 
schon im Jahre 1639 war es ganz still in dieser Gegend — die Stille 
des Todes brütete darüber. Das Dorf, wie so viele andre Schleswigs, 
war ausgestorben, die Bewohner jäh hingerafft oder eilig entflohen. Ein 
Jahrzehnt später waren nur vier Hufen bewohnt im Dorfe. Die Hütten 
verfielen, das Unkraut wucherte, die Hände fehlten, und die Ackerfurchen 
wurden zu Heidefurchen.
	        
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