Full text: Deutsche Prosa und Poesie (Teil 4, [Schülerbd.])

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ich es einzig und allein der Kritik zu verdanken habe. Ich fühle 
die lebendige Quelle nicht in mir, die sich durch eigne Kraft empor¬ 
gearbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen, so reinen 
Strahlen aufschießt; ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus 
mir heraufpressen. Ich würde so arm, so kalt, so kurzsichtig sein, 
wenn ich nicht einigermaßen gelernt hätte, fremde Schätze beschei¬ 
den zu borgen, an fremdem Feuer mich zu wärmen und durch die 
Gläser der Kunst mein Auge zu stärken. Ich bin daher immer be¬ 
schämt und verdrießlich geworden, wenn ich zum Nachteil der Kritik 
etwas las oder hörte. Sie soll das Genie ersticken — und ich schmei¬ 
chelte mir, etwas von ihr zu erhalten, was dem Genie sehr nahe 
kommt. Ich bin ein Lahmer, den eine Schmähschrift auf die Krücke 
unmöglich erbauen kann. Doch freilich, wie die Krücke dem Lahmen 
wohl hilft, sich von einem Orte zum andern zu bewegen, aber ihn 
nicht zum Läufer machen kann, so auch die Kritik. Wenn ich mit 
ihrer Hilfe etwas zustande bringe, welches besser ist, als es einer 
von meinen Talenten ohne Kritik machen würde, so kostet es mich 
so viel Zeit, ich muß von andern Geschäften so frei, von unwillkürlichen 
Zerstreuungen so ununterbrochen sein, ich muß meine ganze Belesen¬ 
heit so gegenwärtig haben, ich muß bei jedem Schritt alle Bemerkungen, 
die ich jemals über Sitten und Leidenschaften gemacht, so ruhig 
durchlaufen können, daß zu einem Arbeiter, der ein Theater mit Neuig¬ 
keiten unterhalten soll, niemand ungeschickter sein kann als ich. 
7. Johann Wolfgang v. Goethe. 
Werke. Herausgegeben von H. Kurz. Hildburghausen. Bibliographisches Institut. 1870. 
1. Der Zauberlehrling. 
1. fjat der alte Hexenmeister 
sich doch einmal wegbegeben! 
Und nun sollen seine Geister 
auch nach meinem Willen leben. 
Seine Wort' und Werke 
merkt' ich und den Brauch, 
und mit Geistesstärke 
tu' ich Wunder auch. 
Walle, walle 
manche Strecke, 
daß zum Zwecke 
Wasser fließe 
und mit reichem, vollem Schwalle, 
zu den: Bade sich ergieße! 
2. Und nun komm, du alter Besen! 
Nimm die schlechten Lumpenhüllen; 
bht schon lange Unecht gewesen; 
nun erfülle meinen Willen! 
Aus zwei Beinen stehe, 
oben sei ein Uops, 
eile nun und gehe 
mit dem Wassertops! 
Walle, walle 
manche Strecke, 
daß zum Zwecke 
Wasser fließe 
und mit reichem, vollem Schwalle, 
zu dem Bade sich ergieße!
	        
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