Full text: Deutsches Lesebuch für Handelsschulen

das Bündel mit ihren Habseligkeiten unter dem Arme. Fast allen 
Gesichtern sieht man die Furcht an vor der langen Dzeanfahrt und vor 
dem Daseinskampf, der sie drüben erwartet. Endlich schließt sich die 
eiserne Tür der Bordwand hinter dem letzten, und die Brücken wer¬ 
den auf den Rai zurückgenommen. Ernst tönt der mächtige tiefe Drei¬ 
klang der Dampfpfeife, weithin hörbar den Augenblick der Abfahrt 
anzeigend. Die Taue, die das Schiff hielten, werden aufgewunden, der 
Führer besteigt mit dem Weserlotsen die Führerbrücke, um die Ausfahrt 
aus dem Schleusenbecken zu leiten. Langsam beginnt der Riese am 
Rai entlang zu gleiten, die Reisenden sammeln sich an den Reelings 
(Brüstungen) der verschiedenen Decks, die Musik spielt die Rational- 
weise, und unter Winken und Tücherschwenken nimmt man den letzten 
Abschied, bis das Schiff rascher stromabwärts gleitet und der Rai 
verschwindet. 
während der Dampfer durch die Nordsee der englischen Rüste zu¬ 
eilt, ist man emsig damit beschäftigt, es sich in den prächtig und bequem 
ausgestatteten Zimmern gemütlich zu machen. Ieder Schlafraum ent¬ 
hält im allgemeinen zwei Letten, die übereinander angeordnet sind, 
und deren oberes durch eine kleine Leiter zugänglich ist. Ist das Schiff 
einmal sehr überfüllt, so wird auch das breite Polstersofa, das jedes 
Zimmer enthält, in ein Bett umgewandelt. Die aufklappbaren Wasch¬ 
tische werden durch Süßwasser gespeist. Elektrisches Licht und elek¬ 
trische Glocke sind selbstverständliche Sachen. Zwei bis drei Zimmer 
haben in der Regel einen Aufwärter und, wenn Damen zu den Be¬ 
wohnern zählen, noch eine Aufwärterin, die durch die Glocke jeden 
Augenblick herbeigerufen werden können. Auch ein Tisch pnd ver¬ 
schließbare Gelasse sind in den Zimmern vorhanden, doch übergeben 
die Fahrgäste im allgemeinen ihre Wertgegenstände bei Antritt der 
Reise dem Zahlmeister. 
Alle Zimmer sind so angeordnet, daß der Reisende nie über Deck 
zu gehen braucht, um zu irgend einer der Räumlichkeiten seiner Rlasse 
zu gelangen. Der Speisesaal liegt dicht vor der Mitte des Schiffes 
und faßt auf unserem Dampfer 250 Personen. In ihm ist eine Pracht 
entfaltet, wie sie sich selbst der verwöhnteste Erdenbürger nicht stolzer 
wünschen kann, wohin das Auge blickt, sieht er Erzeugnisse deutscher 
Runst und deutschen Runstgewerbes. An den wänden hängen Land¬ 
schaftsgemälde von ersten Meistern, überall prangen kunstvolle Holz¬ 
schnitzereien. Ein weiter Lichtschacht, mit vergoldeten Hochbildern auf 
grünem Grunde geschmückt, erleuchtet mit den Seitenfenstern zusammen 
den Gesellschaftsraum bei Tage. 
Die Tageseinteilung der Fahrgäste ist, was die Mahlzeiten an¬ 
betrifft, in der ersten Rajüte nach amerikanischem Muster, in der 
zweiten nach deutschem Muster geregelt. In beiden aber ist der Zu¬ 
schnitt der eines Gasthofes ersten Ranges. In der ersten Rajüte wird 
von sechs bis zehn Uhr das Frühstück gereicht, um zwölf folgt das 
Frühstück und um sechs Uhr abends das hauptmahl. Beim Frühstück 
hat der Reisende die Wahl zwischen mehr als 25 Gängen, die ihm
	        
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