§ 41. Schillers Leben.
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Ausdruck ist natürlich, aber doch edel und plastisch, ohne Phrase
und Überschwenglichkeit, ein Ausdruck, der stets die Empfindung deckt.
Mit Recht urteilt daher Eichendorff über den großen Dichter: „Goethes
Poesie war und blieb eine Natnrpoesie in höherem Sinne. Da ist nichts
Gemachtes; in gesundem, frischem Trieb greift sie fröhlich und ahnnngs-
reich in die schöne weite Welt hinaus, sich von allem Nektar der Erde
nährend und stärkend. Sie giebt alles, was die Natur geben kann: pla¬
stische Vollendung und sinnliche Genüge, aber sie giebt auch nicht mehr.
Ihre Harmonie ist ihre Schönheit, die Schönheit ihre Religion, so wächst
sie unbekümmert in steigender Metamorphose bis zur natürlichen Sym¬
bolik des Höchsten, vor der sie scheu verstummt."
Schiller (1759-1805).
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I. Schillers Leben.
1. Schillers Jugend (1759—1785). Johann Christoph Fried¬
rich Schiller steht an universeller Bedeutung Goethe freilich
nach, ist ihm aber ans einzelnen Gebieten der Dichtkunst ebenbürtig
und überragt ihn teilweise noch im Drama. Er wurde geboren am
IO. November 1759 zu Marbach in Württemberg als der Sohn des
früheren Feldscherers, damaligen Lieutenants Johann Kaspar Schiller und
der Elisabeth Dorothea Schiller, geb. Kodweiß, der Tochter eines Mar-
bacher Gastwirtes, einer frommen und sinnigen Frau, welche auf den
zarten Knaben einen wohlthätigen Einfluß ausübte. Als sein Vater als
Werbeosfizier nach Lorch an der Rems versetzt wurde, erhielt der Knabe
dort den ersten Unterricht und kam 1766 ans die lateinische Schule zu
Ludwigsburg. Sein Wunsch, Theologie zu studieren, wurde durch den
Herzog Karl Eugen vereitelt, indem er dem Verlangen desselben gemäß
1773 in die von diesem gegründete Militär-Akademie, die spätere Karls¬
schule, zum Studium der Rechtswissenschaft eintrat. Mit der Verlegung
der Schule von dem Lustschlosse Solitüde, wo sein Vater inzwischen Garten¬
inspektor geworden war, nach Stuttgart im Jahre 1775 wandte sich
Schiller dem Studium der Medizin zu. Jedoch auch dieses Studium ver¬
mochte ihn nicht zu fesseln, er widmete sich vielmehr insgeheim, da das
Lesen deutscher Dichtungen auf der Schule strengstens verboten war, der
Poesie zu und fühlte sich durch Klopstocks Oden und „Messias", durch
Shakespeare, den er in der Wielandschen Übersetzung kennen lernte, durch
Goethes „Götz" und „Werthers Leiden", wie auch durch andere Dichtungen
der Sturm- und Drangperiode auf das mächtigste ergriffen und begeistert.
tzense, Lesebuch. II. lg