Full text: Vom westfälischen Frieden bis zur Befreiung Europa's (Bd. 7)

Bossuet und Fenelon. 95 
aber der Verfasser hatte die Gunst des Monarchen ver— 
loren. Erst zwei Jahre nach Fenelon's Tode, nämlich 
1717, als auch Ludwig XIV. nicht mehr lebte, erschien der 
Telemach vollständig. Wäre Fenelon nicht schon früher zum 
Erzbischofe von Cambray ernannt, als Verfasser des Tele— 
mach hätte er diese Prälatur gewiß nicht erhalten. 
Einen noch verdrießlicheren Handel bekam Fenelon mit 
Bossuet über den Quietismus. Schon 1675 hatte Michael 
Molinos, ein spanischer Weltpriester, zu Rom den geist— 
lich en Wegweiser herausgegeben, ein Erbauungsbuch, das 
bald in allen Händen war. Er lehrte in demselben, das 
Gemüth des Menschen solle sich ganz in Gott versenken, 
in ihm seine Ruhe suchen, und sich durch nichts Aeußeres 
stoören lassen — eine Seele, die in Gott ruhe, sei überselig, 
und wisse keinen Unterschied mehr zwischen Tugend und 
Laster, bekümmere sich nicht mehr um ihre ewige Seligkeit, 
sondern lasse Gott alles mit sich wirken. Von der Seelen— 
ruhe (quies), welche die Liebhaber dieses Buches suchten, 
kommt der Name Quietismus und Quietisten. 
Molinos wurde für seine gefährlichen Lehren auf Lebenslang 
in ein Dominikanerkloster verwiesen, und zu einem tägli— 
chen Bußgebete verurtheilt. Er starb 1696, aber seine Par— 
tei lebte fort, in Deutschland und Frankreich erschien eine 
Menge quietistischer Erbauungsbücher, deren Liebhaber sogar 
den Empfang der h. Sacramente als unnöthig anzusehen 
anfingen. Der Quietismus war also eine Art von Pietis- 
mus, welcher sich selbst genügt, die von der Kirche gebote— 
nen Gnaden nicht nach Gebuhr achtet, und leicht zum geist— 
lichen Stolze und zur Schwärmerei führt. Die merkwür— 
digste Pflegerinn des Quietismus wurde die Madame 
Guyon am Hofe Ludwigs XIV. Eine junge, schöne und 
reiche Wittwe, war sie durch ihren Beichtvater Lacombe 
doch ganz für die Andacht gewonnen, hielt Betstunden mit 
gleichgestimmten Seelen, und rühmte sich, oft ein solches 
Uebermnaß göttlicher Gnade zu fühlen, daß es ihr vor— 
lemme, als solle sie zerspringen, und sie sich ihre Kleider 
osen lassen müsse; welche sie dann aber berührte, solche 
auch die Ergießung der Gnade in reichlicher Fülle. 
Die Schriftchen, welche sie erscheinen ließ, athmeten densel- 
7. Bd. 4. Aufl. 
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