Zweiter Zeitraum.
ben Geisi. Ludwig, der an jedem Religionsstreite lebhafien
Antheil nahm, ließ den Pater Lacombe ins Gefängniß
werfen, in welchem er 1702 starb, und verwies die Guyon
dom Hofe, doch wurde ihr bald wieder gestattet, den Bet-
stunden der Frau von Maintenon beizuwohnen. Der sanfte
Fenelon war schon lange ihr Gönner, aber Bossuet, der
heologische Heros des Hofes, schwieg nicht; er ließ eine
Schrifi über das innere Gebet drucken. Noch war der
Druck nicht vollendet, als Fenelon hoͤrte, daß in diesem
Werte die Grundsätze der Guyon entstellt wären, und gleich
sieß er seine Grundsätze der Heiligen über das
innere Leben ans Licht treten. Wie triumphirte Bossuet,
bder ein gelehrterer Theolog, aber nicht so ein tiefer
Ascet und Geistesinann war, als Fenelon*)! Er fand
in den Grundsätzen der Heiligen so viele Irrlehren, daß
durch Bossuet's Einfluß Fenelon nach seiner Dioͤcese Cam⸗
brai verwiesen wurde, was diesen keinesweges grämte,
denn das Hofleben hatie ihm nie gefallen. Aber auch sein
Zoͤgling, der Herzog von Bourgogne, der ganz an ihm
hing, und seine groͤßle Freude war, durfte ihm nicht einmal
schreiben, Fenelon's Namen zu nennen war am Hofe verbo⸗
len, und selbst zu Rom wurde der ehrwürdige Erzbischof
als Ketzer verklägt. Der Papst fand allerdings 23 jener
Sãatze anstoͤßig, und verwarf sie, besonders, daß der Mensch
aus reiner Liebe Gottes handeln müsse, unbekümmert, ob
er auch verdammt werde, bekannte aber zugleich, daß Fenelon
aus Uebermaß der Liebe, Bossuet aus Mangel an Liebe
gefehlt habe. Fenelon verkündigte selbst im Dome zu Cam—
brai die päpstliche Entscheidung über seine anstößigen Sätze,
und gewann duͤrch diese Selbstverläugnung mehr Ruhm,
als Bossuet durch seinen Sieg. Ich weiß nicht, ob die Ge—
schichite ein ähnliches Beispiel von freiwilliger Verdemüthi⸗
gung aufweisen kann.
Als Ludwig XIV. das Mark seines Landes verzehrte,
) Fenelon's ascetische Werke athmen den Geist der Liebe, der
Milde, Sanftmuth und große Menschenkenntniß, wie sie sich auch
durch ansprechende Darstellung empfehlen. Eine Geistesverwandtschaft
Wwischen ihm und Franz von Sales ist unverkennbar.
66