Object: Deutsche und brandenburgisch-preußische Geschichte von 1648 bis 1815 (Teil 2)

106 Vom Großen Kurfürsten bis zum Tode Friedrichs des Großen. 
Hauses Holstein-Gottorp zusammengefunden hatten, Anschluß an den Kaiser 
suchten. 
(I. Die auswärtige Politik Preußens wurde beherrscht von dem 
Gedanken der Erwerbung der Herzogtümer Jülich und Berg, die beim Aus¬ 
sterben der Linie Pfalz-Neuburg in den Besitz der Fürsten von Pfalz-Sulzbach 
überzugehen drohten. Da Friedrich Wilhelm I. aber davor zurückschreckte, 
seine Rechte auf die Herzogtümer ohne Rücksicht auf die Stellungnahme der 
Großmächte zur Geltung zu bringen, suchte er Preußens Interesse durch An¬ 
schluß bald an diese, bald an jene der beiden großen politischen Verbindungen 
der Hauptmächte Europas zu wahren. 
a. Im Vertrage zu Herrenhausen (1725) schloß sich Preußen dem 
englisch-französischen Bunde gegen den Kaiser und Spanien an. Denn 1. sah 
der protestantische Staat durch die Verbindung Österreichs und Spaniens den 
evangelischen Glauben gefährdet; 2. hatte der Kaiser dem aufstrebenden Preußen 
bei rechtlichen Entscheidungen mehrfach ein mißgünstiges Übelwollen gezeigt; 
3. waren die Höfe von Berlin und London damals durch Familieninteressen 
verbunden, es wurde eine Doppelheirat zwischen dem preußischen Kronprinzen 
und dessen Schwester Wilhelmine einerseits und den Enkelkindern des Königs 
von England andererseits geplant. 
Das Bündnis von Herrenhausen richtete sich gegen eine Störung des 
europäischen Gleichgewichts, die — nach Ansicht der vertragschließenden Mächte 
— vom Kaiser zu erwarten war. England, Frankreich und Preußen garan¬ 
tierten sich gegenseitig ihren Besitzstand, und in einem geheimen Artikel versprachen 
die Westmächte, dafür einzutreten, daß die Ansprüche Preußens auf Jülich 
und Berg mit denen der Pfalz-Sulzbacher Gegenpartei einem unparteiischen 
Schiedsgerichte zur Entscheidung vorgelegt werden sollten. 
„In dem großen europäischen Kampfe, der sich zu entzünden schien, 
trat Friedrich Wilhelm dergestalt entschlossen auf die antiösterreichische Seite." 
ß. Die Besorgnis, daß es die Westmächte auf die Vernichtung Österreichs 
abgesehen haben könnten, und die Befürchtung, daß Preußen die Hauptlast des 
in Aussicht stehenden Kriegs zu tragen haben werde, beiuogen Friedrich Wil¬ 
helm, von der Verbindung mit England und Frankreich zurück¬ 
zutreten, zumal seine Bundesgenossen ihn nicht einmal in den Endzweck ihres 
Bündnisses einweihen wollten. Der kaiserliche General Seckendorf, den Karl VI. 
nach Berlin gesandt hatte, um Preußens Anschluß an die Westmächte zu 
hintertreiben, wußte seinen Einfluß aus Friedrich Wilhelm dahin auszunützen, 
des Königs Mißtrauen gegen England und Frankreich zu verstärken. Obgleich 
die Feindseligkeiten zwischen England und Spanien 1727 bereits zum Aus¬ 
bruch kamen (Angriff der Spanier auf Gibraltar, Erscheinen einer englischen 
Flotte in Westindien), blieb der Friede dennoch erhalten, weil Preußen zur 
Neutralität zurücktrat. „Eine der ersten Wirkungen des Emporkommens der 
Militärmacht und politischen Selbständigkeit von Preußen auf Europa. Es 
verhinderte das feindliche Zusammentreffen der über das maritime und konti¬ 
nentale Gleichgewicht entzweiten Mächte auf deutschem Boden." (Ranke.) 
y. In den Verträgen von Wusterhausen (1726) und Berlin 
(1728) trat Preußen ganz auf die Seite Österreichs. 
Der Kaiser überzeugte sich immer mehr von der Notwendigkeit, Preußen, 
das über eine so ansehnliche Militärmacht verfügte, für die Anerkennung der 
pragmatischen Sanktion zu gewinnen; Friedrich Wilhelm aber glaubte seine
	        
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