Full text: Meister Bindewald als Bürger

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Junge, wann wird dir die Stunde der Erkenntnis schlagen, daß 
die ganze Religion bloß erfunden ist, damit die Machthaber bequem 
regieren können ■-Du, in unserm Verein, da hört man das 
Richtige. Der Vorstand ist ein Schlosser aus der Großeschen Fabrik. 
Der hat alle Bücher gelesen, wenn der redet, dann ist alles stille. 
Der hat uns aufgeklärt. Lei uns ist die Rufklärung, die Freiheit 
und die Zukunft." 
So hatte er schon oft und eindringlich auf Wilhelm eingeredet. 
Dazu hatte ihm Robert Schriften zu lesen gegeben, gefährliche 
Bücher. Im Gewände der Wissenschaftlichkeit, die jungen Ge¬ 
mütern so erhaben, so achtunggebietend vorkommt, war ein so¬ 
genannter Beweis nach dem andern geführt worden, der gegen 
das Dasein Gottes gerichtet war. 
Wilhelm fühlte, daß mit dem Glauben an Gott auch der feste 
halt im Rampfe gegen die Versuchungen fehlte und suchte, Robert 
zu widerlegen. Schon einige Male war der Meister dazwischen 
gefahren und hatte zum Frieden ermahnt. 
Robert war kein Heuchler. Zu Hause hatte er nicht beten 
gelernt, was die Schule bot, hatte man ihn verachten gelehrt, kein 
Wunder, daß er sich in dem Verein wohl fühlte, daß er eins der 
eifrigsten Mitglieder wurde. — 
Rber er zog auch die Folgen aus seiner Weltanschauung. Die 
drei Lehrlinge schafften einmal ein hohes Büchergestell zu einem 
Professor der Hochschule. Robert überreichte dem Herrn Professor 
die erbetene Rechnung, die auch schon quittiert war, und sie wurde 
sofort bezahlt. Wohl sah Robert, daß der kurzsichtige Herr ein 
Zehnmarkstück zuviel gab, schwieg aber dazu. Er dachte mit Blitzes¬ 
schnelle an die Fülle der Genüsse, die ihm werden mußte, dankte 
höflich und ging. Dem Meister lieferte er nur den Betrag der 
Rechnung ab. Die zehn Mark behielt er aber für sich. 
Zwei Stunden später kam das Dienstmädchen des Professors 
in die Wohnung des Meisters mit der Bitte, den Lehrling doch 
nach den zehn Mark zu fragen, die er zuviel bekommen habe. Frau 
Professor hatte ganz genau gewußt, wieviel ihr Mann Geld bei 
sich gehabt hatte. Es konnte nur ein Irrtum des Zungen sein. 
Der Meister ging in die Werkstatt. „Robert, du hast wohl zehn 
Mark mehr bekommen? Sieh doch einmal in deine Geldtasche!"
	        
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