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standen, und well eS deshalb keinem in dem Grade, wie ihm,
möglich ward, Gestalten und Gruppen zn runden und natürlich
auseinander zu setzen. Dieses Streben nach natürlichem Ausdruck,
was in der Auffaßung, besonders der LIchtperspcctivc ligt, studirtc
an seinen Werken Raphael. Fra Angclico dagegen ist unübcrtrcf-
lich in der Ergründung des innern Zusammenhanges der Züge des
Menschen; in seinen Werken spricht sich eine unergründliche Tiefe
des Gemütes aus. Von Architectcn waren Filippo di Ger Bru-
ncllcsc» und Michclozzo ausgezeichnet, und Cosimo ließ mit Gebäu¬
den, Bildwerken und Malereien nicht bloß Florenz, nicht bloß Tus-
cien, auch Umbrien und Venedig, ja sogar Jerusalem schmücken;
richtete di« Gaben und Kräfte aller künstlerisch tüchtigen Menschen
auf dieses Streben.
In ähnlicher Weise, wie die altchristlichen Typen und die byzan¬
tinische Kunstfertigkeit die zeichnenden Künste im IZtcn Jahrhun¬
dert bestimten, bcstiniten die redenden Künste teils die altclassischcn
Muster, teils die Vorbilder der provencalen Dichtung. Zwei Ue-
bergangspuncte waren aber da zur Entwickelung einer volkstümli¬
chen italienischen Poesie: I) das religiöse Sied, zwar lateinisch,
aber mit kurzen Reimzeilcn, und 2) die Darstellung gewönlichen
Lebens in der Novelle, welche ihren Stof so behandelt, daß sie ihn
geschloßencr und wie in einen Kamen gefaßt in der Art hinfielt,
daß poetische Motive, die in Vorkommenheiten des täglichen Lebens
lagen, deutlich heraustreten. Die Lieder des heiligen Franz und
die oonto noveile unticlie bieten für beide Dichtungsarten herliche
Muster, doch siht man auch in einer spätern florentinischen Novcl-
lensamlung, in der des Francesro Saccbetti, noch die Art und
Natur der alten Novelle deutlich. Beide Richtungen, die religiös -
sitlich«, tiefe, gewissermaßen lyrische, und die historisch-pikante, ge¬
wissermaßen dramatische, wüste Dante zu Anfange des 14ten Jahr¬
hunderts so in sich zu einem ungeheuern Werke der riesenmäßigstcn
Phantasie sowol, als des philosophischesten Ticfsinnes und der Ge¬
lehrsamkeit zu verwenden, daß lange Zeit der italienische Volksgcist
sich nur in die Erklärung dieses Werkes, welches gewissermaßen
der Jnbegrif seines ganzen Strcbens war, vertiefte. Die einzel¬
nen Richtungen, die hier vereinigt und zu einem Wundcrbau verar¬
beitet waren, repräsentirtcn als isolirte und einzeln die lyrische Pe¬
trarca, die novellenartige Boccaccio. Was dies« drei, Dante, Pe¬
trarca, Boccaccio, angeregt hatten, teils durch eigne Werke, teils
(und dies ist besonders das Verdienst der beiden letztem) durch
Hinweisung auf das römische und griechische Altertum , bildete das
Material, an welchem sich die nächste Zukunft versuchte, welche
deshalb vorzüglich philologisch- und historisch-commcntirend ver-
fur. An der Spitze der Philologen des 14len Jahrhunderts müs-
tcn besonders 2 genant werden, Giovanni da Ravenna, eia Zög¬
ling Petrarca'-, und Chrysolaras, ein Grieche von Geburt; jener