Full text: Lehrbuch der Geographie für die mittleren und oberen Klassen höherer Bildungsanstalten sowie zum Selbststudium

56 Buch II. Physische Geographie. Cap. III. Der Lustkreis. 
die- Temperatur um 1" sinke. (Mit Hülfe dieser Angaben kann man die 
mittlere Temperatur eines Ortes auf das Niveau des Meeres reducieren. 
Solche Reductionen sind für alle Orte vorgenommen. welche auf Karten 
durch Isothermen verbunden sind). In Folge dieser Tcmperaturabnahnie 
scheinen höher gelegene Gebirgslandschaften ein Klima gleich dem nördlicher 
gelegener Tiefländer zu besitzen-. Das ist auch richtig, so lange es sich um 
die mittlere Jahrestemperatur handelt! so hat z. B. Clausthal (1857' 
über dem Meere) etwa dieselbe mittlere Jahrestemperatur (4»,85) als 
Stockholm (4»,56), und die Temperatur (2",06) des Brockens <3508') 
ist gleich der von Lappland. Allein da im Sommer die Temperatur nach 
oben rascher abnimmt, als im Winter, so wirkt die höhere Lage eines 
Ortes besonders nachtheilig auf dessen Sommertempcratur ein, und der 
Gegensatz der Jahreszeiten wird dadurch ein geringerer. Während z. B. 
in Göttingen die Temperaturdifferenz zwischen Winter und Sommer, fast 
14» betragt, ist die Differenz für den Brocken nur — 9°, und während 
auf dem Brocken die Temperatur des Juli nur 8»,40, die des August 
nur 9»,15 beträgt, ist sie in Lappland für dieselben Monate mindestens 
12». Daher kann in Lappland noch Getreidebau getrieben werden, der 
am Harze schon in 1800' Höhe, der halben Brockenhöhe, aufhören must. 
So mag-der Bewohner hoher Gebirge wohl den Polarmenschen um 
seinen warmen Sommer beneiden. 
Einen bedeutenden Einfluß hat die Abnahme der Temperatur mit 
der Höhe auch aus die Form der Niederschläge. Es würd zuletzt eine 
Grenze eintreten, bei welcher fast nur noch Schnee fällt, und die Sommcr- 
wärmc nicht im Stande ist, die im Laufe des Jahres gefallene Schnee- 
masse zu schmelze». Man bezeichnet diese Linie mit dem Ausdrucke Schnee¬ 
grenze, und es ist das Hinaufreichen eines Gebirges bis zur Schnee¬ 
grenze oder das Zurückbleiben unter derselben natürlich von hoher Be¬ 
deutung für die Wegsamkeit desselben, so wie für den malerischen Ein¬ 
druck seiner Landschaften (Alpenglühen). Die Höhe der Schneegrenze 
hängt im allgemeinen von der geographischen Breite des Gebirges ab, 
wird aber durch mancherlei Uinständc modificiert. Sie wird höher auf¬ 
steigen in der Nähe Wärme ausstrahlender weitgedehnter Hochebenen 
(z. B. in Bolivia). oder wo im innern der Continentc die Masse des 
jährlichen Niederschlags geringer ist als an feuchten Küstenländern, während 
zugleich in Folge des continentalcn Klimas die Sommerwärme höher ist 
als dort. So liegt z. B. in den Pyrenäen die Schneegrenze bei 8400', 
am Elbrus im Kaukasus bei gleicher geographischer Breite (43») bei 
10380'; am Küenlün im innern des asiatischen Continents steigt sie 
sogar auf 17400'. — Höhe der Schneegrenze in Bolivia 10500', in 
Mexico 13900', an der Sierra Nevada in Spanien (37» N. Br.) 10500', 
in den Alpen (40» N. Br.) 8350', in Norwegen (62» N. Br.) im innern 
4800', ans Mageroe an der Küste Norwegens (71V^”) 2220'. Bei Ge¬ 
birgen, die von Ost nach West streichen, wird im allgemeinen die Schnee¬ 
grenze ans der Nord- (Winter)scite tiefer herabreichen; eine Ausnahme 
macht der Himalaya, wo auf der dem Meere zugekehrten Südseite die 
Niederschläge viel mächtiger sind als auf der Nordseite, und zugleich die
	        
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