122
A Erzählende Prosa V. Geschichtliche Darstellungen.
sich zwar das Volk, als der Senat einige Schiffe nach dem kornreichen
Sicilien schickte und dort auf öffentliche Kosten aufkaufen ließ. Die Schiffe
kamen reichbeladen zurück, und das Volk sah begierig der Austheilung ent—
gegen Nur wie man dabei verfahren wollte, darüber wurde noch im
Senate berathschlagt. Die Vernünftigeren meinten, man solle das Korn
dem armen Volke entweder ganz schenken oder doch nur einen geringen
Preis setzen. Da sprang der stolze Coriolan unwillig auf und rief: „Will
das Volk von unserem Getreide essen, so mag es auch uns dienen und
die Tribunenwürde aufgeben. Gefällt es ihm bei uns nicht, so ziehe es
aus; der heilige Berg und jeder andere steht ihm frei. Glaubt mir, nur
durch Elend und Noth ist das Volk bei seiner Pflicht zu erhalten!“ Diese
Worte erfuhr das Volk bald wieder; es gerieth in Wuth und hätte fast
die Versammlung gestürmt und den Coriolan zerfleischt Er wurde vor
den Richterstuhl der Tribunen berufen und, da er nicht erschien, auf Be—
trieb der Plebejer aus Rom verbannt. Mit stolzem Selbstgefühl riß er
sich aus den Armen seiner Mutter, seines Weibes und seiner Kinder, und
furchtbare Drohungen ausstoßend, verließ er die Stadt. Dann begab er
sich zu den Volskern, damals dem furchtbarsten Feinde der Römer, und
bewog sie, den Römern den Krieg anzukündigen. Sie stellten ihn mit
Freuden an die Spitze, und er jauchzte schon bei dem Gedanken, Rache
an den Plebejern üben zu können. Alles ging nach Wunsch; er nahin
den Römern einen Platz nach dem andern weg, verheerte alle dem gemeinen
Vollke gehörenden Felder und rückte endlich selbst bis Rom vor. Die
Römer erschraken; denn Alles ließ die Wuth und die Rache des wilden
Coriolan fürchten. Die Weiber liefen mit Angstgeschrei durch die Straßen;
in den Tempeln umfaßten die Greise die Bilder der Götter und flehten
um Abwendung der Gefahr, und das Volk ruhete nicht eher, bis der Senat
eine Gesandtschaft an Coͤriolan abgehen und ihm Widerruf der Verban—
nung anbieten ließ, wenn er e Coriolan wies sie mit Hohn ab,
und als sie nun zum zweiten Male kam, ließ er sie nicht einmal vor sich.
Eine Gesandtschaft, die aus den n een Priestern in ihren Feier⸗
kleidern bestand, hatte kein besseres Schicsal. Da flehten die Römischen
uen Coriolans Mutter Veturia und seine Frau Volumnia an, imit
ihnen in das Volskische Lager zu gehen und zu versuchen, ob sie den harten
Sinn des Siegers erweichen könnten.
Als man ihm meldete, man sehe eine lange Prozession Römischer
Frauen sich dem Lager nähern, wandte er sich mit Unwillen wege Da
meinte aber Einer, er glaube die Mutter, die un und die Kinder Co⸗
riolans an der Spitze des Zuges zu erkennen. Coriolan horchte auf und
schaute hin. Wirklich, sie waren es! Wie sinnlos sprang er vom Site
auf; mit offenen Arnien lief er ihnen entgegen; sein rohes Herz war von
dem langentbehrten Anblicke seiner Lieben erweicht. Aber seine Mutter
stieß ihn zurück. „Laß mich erst wissen,“ sprach sie, „ob ich mit dem Feinde
Roms oder mit meinem Sohne rede. Habe ich so lange leben müffen,
um den Jammer zu erfahren, daß mein Sohn erst ein Verbannter und
endlich gar ein Feind Roms ist! Wie? Du kannst Rom bekriegen, die
Stadt, die dich geboren hat und Alles enthält, was deinem Herzen theuer
sein muß? Hätte ich keinen Sohn, so brauchte die Stadt nicht diese