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Hier ist des Stromes Mutterhaus,
ich trink' ihn frisch vom Stein her¬
aus;
er braust vom Fels in wildem Lauf,
ich fang' ihn mit den Armen auf;
ich bin der Knab' vom Berge!
Der Berg der ist mein Eigentum,
da zieh'n die Stürme ringsherum;
und heulen sie von Nord und Süd,
so überschallt sie doch mein Lied;
ich bin der Knab' vom Berge!
Sind Blitz und Donner unter mir,
so steh' ich hoch im Blauen hier;
ich kenne sie und rufe zu:
Laßt meines Vaters Haus in Ruh'!
Ich bin der Knab' vom Berge!
Und wann die Sturmglock' einst
erschallt,
manch Feuer auf den Bergen wallt,
dann steig' ich nieder, tret' ins Glied
und schwing' mein Schwert und sing'
mein Lied;
ich bin der Knab' vom Berge!
Mhland.)
22. vis Kapelle.
Droben stehet die Kapelle, Traurig tönt das Glöcklein nieder,
schauet still ins Thal hinab ; schauerlich der Leichenchor;
drunten singt bei Wies’ und Quelle stille sind die frohen Lieder,
froh und hell der Hirtenknah’. und der Knabe lauscht empor.
Droben bringt man sie zu Grabe,
die sich freuten in dem Thal!
Hirtenknabe! Hirtenknabe!
dir auch singt man dort einmal. (Uhland.)
23. Das Alpenhorn.
Das Alpenhorn dient in den hohen Gebirgen des Schweizerlandes
nicht bloß zur Anstimmung des Kuhreigens, sondern es hat auch einen
religiösen Gebrauch. Wenn im Thale schon Finsternis eingezogen
ist und das Sonnenlicht nur noch auf den Gipfeln der schneebedeckten
Berge glimmt, dann nimmt der Senne, der auf dem höchsten Teile
der Alpenreihen lebt, sein Horn und ruft durch das Sprachrohr:
„Lobt Gott, den Herrn!" Alle benachbarten Hirten treten, so¬
bald sie diesen Laut hören, mit den Alpenhörnern aus ihren Hütten
und wiederholen dieselben Worte. Das dauert oft eine Viertelstunde
lang fort, und von den Bergen und die felsigen Schluchten entlang
wiederhallt der Name Gottes. Dann erfolgt'eine feierliche Stille.
Alle knieen mit entblößten Häuptern und beten. Unterdes sind auch
die Spitzen der Berge dunkel geworden. Gute Nacht! ruft der
höchste Hirt durch sein Sprachrohr. Gute Nacht! tönt es wieder