38 2. Per. 2. Zeitr. Freidank. — Der Windsbeke. — Der Stricker.
Wir sollen mit allen Sinnen
Gott fürchten und minnen.
Der Welt ihr Dräuen und ihr Zorn,
Die sind an Gott gar sehr verlor'n;
Man muß ihm flehen und ihn bitten,
Er fürchtet niemands Unsitten;
Mit dem kleinsten Teil von seiner
Kraft
Gott mehr, als die ganze Welt mag,
schasst.
Scherr.
Kinderzucht. (Priamel.)
Des Weihen Flug, des Donners Schuß,
Der Schlange Weg, des Schiffes Fluß,
Und wie die Kinder geraten werden:
Wer kennet die fünf Weg' auf Erden?
Der Windsbeke.
(Um 1250.)
Ermahnungen des Windsbeken.
1.
Sohn, liebe du von Herzen Gott,
So kann dir's nimmer missegahn;
Er hilft dir stets aus aller Not.
Sieh dir der Welt Verführung an!
Wie ihren Anhang sie trügen kann,
Und welchen Lohn zuletzt sie beut,
Das sollst du jetzt bedenken still;
Sie giebt zum Lohn der Sünden
Lot.
Wer ihr nach Willkür folgen will,
Der wird an Leib und Seele tot.
2.
Sohn, merke, wie das Kerzenlicht,
Dieweil es brennet, schwindet gar;
Ingleichen ganz auch dir geschicht
Von Tag zu Tag. — Ich sag' dir
wahr;
Des nimm in deinen Sinnen wahr
Und richte hier dein Leben so,
Daß deine Seele dort wohl fahr'.
Wie hoch an Gut auch wird dein
Nam',
Dir folgt von dannen nichts, denn
nur
Ein leinen Tuch für deine Scham.
Scherr.
Der Stricker.
(Um 1250.)
B e i s
Einem Mann zerbrach sein Axe-
stiel;
Da bat er alle Bäume viel
Um einen Stiel, der wär' recht fest.
Sie gaben ihm eines Ölbaums Ast,
Worauf der Mann in aller Hast
p i e l.
Den ganzen Wald umhieb und brach.
Die Eiche da zur Esche sprach:
Mit Recht sind wir verraten,
Weil unserm Feinde wir wohl thaten.
Wer seinem Gegner aufhilft wieder,
Zu Boden drückt er selbst sich nieder.
Scherr.