Full text: [Teil 4, [Schülerbd.]] (Teil 4, [Schülerbd.])

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Jetzt trägt sie das einfache Mahl auf. Er spricht das Tischgebet. 
Dann legt sie ihm die Speisen auf den Teller, schneidet alles und 
gibt es ihm in den Mund. Ohne alle Hast tut sie diesen Dienst und 
erzählt ihm dabei allerlei, um ihm über das Peinliche seiner hilflosen 
Lage hinwegzuhelfen. Erst nachdem er gesättigt ist, stillt sie ihren 
Hunger. Eine Weile herrscht Schweigen in dem Gemach. Dann fragt 
die Frau: „Warum siehst du mich so eigen an?“ 
Er antwortet: „Ich dachte darüber nach, wie in den alten Zeiten 
es den Menschen vergönnt war, den heiligen Engel Gottes zu schauen. 
Ich glaube, wenn ich in den Himmel komme, so werde ich erkennen, 
daß die Engel deine milden Augen und deine sanften Hände haben.“ — 
Die Frau will abwehren; er aber fährt fort: „Rede mir nicht darein. 
Wenn du nicht gewesen wärest, so hätte ich mich in unbändigem 
Trotz und Unmut über mein Geschick verzehrt. Ihr habt viel Geduld 
mit mir haben müssen, Gott und du. Wohl wünsche ich oft, es käme 
endlich mein letztes Stündlein, damit du und die Kinder die Last mit 
mir los wäret; aber dennoch will ich Gott danken für jeden Tag, den 
er mich noch bei euch läßt.“ 
Voll Bewegung trat die Frau zu ihm: „Jeder Tag, an dem ich 
dich noch pflegen darf, ist mir ein Geschenk Gottes.“ Dabei um¬ 
schlang sie ihn, daß sein Kopf an ihrer Brust lag. Er aber suchte mit 
derzittenden Rechten ihre Hand: „Ich weiß es, du Liebe, du Gute.“- 
Wer sind die beiden? Nenne uns ihre Namen! — Wohl habe ich 
sie einst gekannt, aber wozu die Namen nennen! Sie gehören zu den 
vielen Namenlosen vor der Welt, deren Leben in Verborgenheit dahin¬ 
fließt wie ein Rinnsal im Walddunkel. Aber in Gottes ewigem Buche 
steht von den beiden mit Sternenschrift geschrieben, daß sie ihr Kreuz 
miteinander getragen haben in großer Geduld. Ob’s auch von dir 
und mir darin steht? Erwin Gros. 
21. Der westfälische Hofschulze. 
1. 3m Hofe zwischen den Scheunen und Wirtschaftsgebäuden stand 
mit aufgekrempten Hemdärmeln der alte Hofschulze und schaute achtsam 
in ein Heuer, das, zwischen Steinen und Kloben am Boden entzündet, 
lustig flackerte. Lr rückte einen kleinen Bmboß, der danebenstand, zu¬ 
recht, legte sich Hammer und Zange zum Griffe bereit, prüfte die Spitzen 
einiger großen Kadnägel, die er aus dem Bruststücke des vorgebundenen 
Schurzfelles zog, legte die Nägel auf das Bodenbrett des Leiterwagens, 
dessen Nad er ausbessern wollte, und drehte die Stelle des Bades, von 
der ein Stück Schiene abgebrochen war, achtsam nach oben, worauf er 
durch untergeschobene Steine das Bad in seiner Stellung befestigte.
	        
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