Full text: [Teil 4, [Schülerbd.]] (Teil 4, [Schülerbd.])

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Kopeke aus den Händen war. Das gute Geld war für einen 
andern Gebrauch zu bestimmen, aber man kann nicht an alles 
denken. Als dann endlich die Stunde der Erlösung schlug, gesellte 
sich zur Freude ohne Maß der bittere Schmerz der Trennung und 
zu dem bittern Schmerze die Not. Denn es sehlte an allem, was 
zur Notdurft und zur Vorsorge auf eine so lange Reise in den 
Schrecknissen des russischen Winters und einer unwirtlichen Gegend 
nötig war, und ob auch auf den Mann, so lange sie durch Rußland 
zu reisen hatten, täglich dreizehn Kreuzer verabreicht wurden, so 
reichte doch das wenige nirgends hin. 
12. Darum ging in diesen letzten Tagen der Schneider, sonst 
so frohen, leichten Mutes, still und nachdenklich herum, als der 
etwas im Sinne hat, und war wenig mehr zu Hause. „Es geht 
ihm recht zu Herzen,“ sagten die rheinländischen Herren Haus⸗ 
freunde und merkten nichts Aber auf einmal kam er mit großen 
Freudenschritten, ja mit verklärtem Antlitze zurück. „Kinder, es ist 
Rat. Geld genug!“ — Was war's? Die gute Seele hatte für 
zweitausend Rubel das Haus verkauft. „Ich will schon eine 
Unterkunft finden,“ sagte er, „wenn nur ihr ohne Leid und Mangel 
nach Deutschland kommt!“ O du heiliges, lebendig gewordenes 
Sprüchlein des Evangeliums und seiner Liebe: Verkaufe, was 
du hast, und gib es denen, die es bedürftig sind, so wirst du 
einen Schatz im Himmel haben. Der wird einst weit oben rechts 
zu erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat. „Kommt, ihr 
Gesegneten! Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; 
ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet; ich bin krant 
und gefangen gewesen, und ihr habt euch meiner angenommen.“ — 
13. Doch der Kauf wurde, zu großem Trost für die edeln 
Gefangenen, wieder rückgängig gemacht. Nichtsdestoweniger brachte 
er auf andre Art noch einige hundert Rubel fuͤr sie zusammen 
und nötigte sie, was er halte von kostbarem russischen Pelzwerk, 
mitzunehmen, um es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes 
bedürftig wären, oder einem ein Unglück widerführe. Den Abschied 
will der Hausfreund nicht beschreiben. Keiner, der dabei war, 
vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen und 
Tränen des Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, 
daß dieses für ihn der schmerzlichste Tag seines Lebens sei. Die 
Reisenden aber sprachen uͤnterwegs unaufhörlich und noch immer 
von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialystock in Polen 
wohlbehalten ankamen und Geld antrafen, schickten fie ihm dankbar 
das vorgeschossene Reisegeld zurück. — Das war das Gotteskind, 
Franz Anton Egetmeier, Schneidermeister in Asien.
	        
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