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Griechische Geschichte.
auch Mithras, der persische Lichtgott, begann bereits seinen Siegeszug.
Schon bisher war neben der Verehrung der lichten Götter des Olymps
eine andere, mehr persönliche Frömmigkeit sehr verbreitet geniesen, die,
nach Erlösung von der Not des Daseins verlangend, ihre Zuflucht zu
geheimnisvollen Lehren und Bräuchen nahm, so zu den Mysterien, in
denen zu Eleusis Demeter und Persephone und andere, unterweltliche Gott-
heiten verehrt wurden, zu den wilden Orgien des Dionysosdienstes, zu
Weissagungen und Orakeln. Jetzt drang eine Flut orientalischen Aber-
glaubens ein und gewann die Massen. Viele Menschen freilich verloren
religiöses Empfinden überhaupt, der Glaube an die Herrschaft des blinden
Zufalls in der Welt griff um sich. Die den alten Götterglauben retten
wollten, legten ihm ihre philosophischen Gedanken unter, wie die Stoiker;
andere erklärten die Götter für verstorbene Könige und Wohltäter der
Menschen und brachten rationalistische Deutungen vor, wie Euhemeros
von Messana, der in einer Art Roman erzählte, in ferner Südsee in
einem Heiligtums die eigentliche Geschichte der Götter gelesen zu haben.
Der griechischen K u n st war auch in diesen Jahrhunderten noch eine
Baukunst, hohe Blüte beschieden. Der B a u k u n st stellten die neugegründeten Groß-
städte und Fürstenresidenzen große Aufgaben: Tempel wurden gebaut
(meist im ionischen und korinthischen Stil), gedeckte Säulenhallen, mehr-
schiffige Basiliken (für Rechtspflege und Geschäftsverkehr), Rathäuser,
Märkte und Straßen, Wasserleitungen, Theater, Gymnasien, Bäder, Be¬
festigungsanlagen. Die von deutschen Gelehrten ausgegrabenen Ruinen
von Prien e am Mykalegebirge zeigen, wie man damals eine Stadt
anlegte, im besonderen wie die Privathäuser aussahen.
Plastik. Die Plastik ferner hat auch in diesem Zeitalter Bedeutendes hervor-
gebracht. Um die Mitte des vierten Jahrhunderts hatten Skopas und
Praxiteles ihre Marmorkunst geübt. Skopas von Paros liebte Ge-
stalten voll Pathos und Stimmung, er hat auch mitgearbeitet am Schmucke
des Mausoleums, das die karische Fürstin Artemisia ihrem Gemähte, einem
Vorläufer des Hellenismus, errichten ließ. Der Athener Praxiteles erreichte
seinen höchsten Ruhm mit der Darstellung der anmutigeren und weicheren
Gestalten 8er Götterwelt, von ihm stammen die Aphrodite von Knidos, der
Hermes von Olympia, der träumende Satyr. Alexanders Zeitgenosse war
Lysippos von Sikyon, auf den auch die vorhandenen Nachbildungen
des Königs zurückgehen; sein bekanntestes Werk ist der Apoxyomenos, ein
sich vom Staube reinigender Athlet, der kanonisches Ansehen gewann wie
der Speerträger des Polyklet. Er war besonders Meister im Erzguß. Im
vierten Jahrhundert wurden auch die Niobegruppe und der Apoll von Bei-