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zuwinken! Wie oft begleiten sie mit ihrer ewigen Anmut ilm
mitleidig durch lange Felsenlabyrinthe und verkünden ihm Leben
und volles Genüge in einer öden Welt von grausenhaften Stein-
trümmern ! Überall gleich reizend, schmückt sie tausendfältig das
tausendfältig wechselnde Land ihrer Heimat und glüht bald als
einzelne Rosenflamme über dem zischenden Sturz des Eisbaches,
bald überzieht sie die ganze Fläche des Berges, der sich mit seinem
Purpurteppich im Spiegel des Alpseees malt, oder streut ihre
Blüten gesellig in den vielfarbigen Flor der Alpen. Gleich freundlich
wie dem Menschen, dem sie oft, wenn er unaufhaltsam dem Ab¬
grunde zugleitet, ihre rettenden Stauden entgegenstreckt, und dem
sie in bitterkalten Sommertagen willig zum Feuerherde folgt,
bietet sie im harten Winter dem sanften Volke der Alpenhühner
ihre zarten Sprossen und Knospen, um es vor dem nagenden
Hunger zu schützen. Der Gebirgswanderer findet an diesen lieben
Stauden so recht einen Maßstab für die stufenweise Entwickelung
der Alpenpflanzen. Bei 1200 Meter Seehöhe findet er die braunen
Kapseln mit halbangereiftem Samen- bei 1600 Meter steht die
herrliche Pflanze in höchstem Flor- bei 1900 Meter beginnt der
sonnigste Knospenzapfen die erste Blüte aus der Pyramide zu
lösen, noch 160 Meter höher fangen die Knospen erst an sich zu
bräunen, ungewiß, ob dieser Sommer ihnen die Entfaltung ver¬
gönnen werde. Der Schlag und die Tracht der Alpenrosen ist
übrigens in den verschiedenen Gebirgen sehr verschieden - nie haben
wir sie üppiger, mit größeren, tiefer gefärbten Glocken und Büscheln
gesehen als in den Gebirgen Graubündens.
Die reizende Königin der Alpenblumen ist von einem glän¬
zenden Hofstaate umgeben, von dem aber niemand es wagt, mit
ihr um die Gunst des Menschen zu werben, so bunt, so reich die
schönen Kinder auch geschmückt sind. Unter ihnen treten besonders
die Gentianen hervor, die in den verschiedensten Formen und
Farben den Alpenrasen schmücken. Die hohe Purpurgentiane, die
punktierte und die gelbe, erheben stolz ihre leuchtenden Blumen¬
wirtel aus den niedrigen Kräutern der Nachbarschaft, während
die großblütige und die Frühlingsgentiane millionenfältig ihre
purpurblauen Glocken über die keimende Rasendecke hinstreuen.
Sowie der Schnee sein schmutzig gewordenes Kleid von den hohen
Triften zurückzieht, sprießt ungeduldig, oft dicht neben ewigem
Gletscher, das überaus zierliche Alpenglöcklein mit seinen lila¬
farbenen, fein ausgezahnten Blumen aus dem feuchten Grunde -
die hochgelben, weit duftenden Aurikeln bekleiden mit den niedlichen