Full text: [Teil 2, [Schülerbd.]] (Teil 2, [Schülerbd.])

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bethen Händen an seinem Stocke haltend, über die gefährlichsten 
Alpenwege hinunter ins Thal, wo er von feinen Freunden bewill- 
Ibmmt wird und voll von Freude mit ihnen über die überstande¬ 
nen Gefahren und Eroberungen schwatzt. Ist die Gemse an keiner 
tödlichen Stelle getroffen, so wird sie mit heraushängenden Einge¬ 
weiden oder nur auf drei Füßen gleich schnell, als' ob sie nicht 
verwundet wäre, mit den übrigen unverletzten Tieren die Flucht 
ergreifen und ihrem Verfolger nichts als das leere Nachschauen 
hinterlassen. Es ist unbegreiflich, was für ein zähes Leben diese 
Tiere haben, und wie schnell sie, wenn sie nicht tödlich verwundet 
sind, wieder heil werden. Im letzteren Falle verbergen sie sich gern 
in Höhlen und Löchern, oder unter Felsen und im Gesträuche. Eine 
Gemse, deren beide Hinterfüße ganz lahm geschossen sind, kann auf 
den vordem unbegreiflich schnell über kahle Gebirge oder Eisfelder 
hinunter, oft halbe oder gattze Stunden lange Strecken, fortrücken. 
Vor ungefähr 40 Jahren ward auf dem Murtschenstock im Glarner- 
lande eine Gemse in einen Fuß verwundet, der ihr nachher wegen 
dieser Wunde beim Knie völlig aufwärts wuchs. Drei Jahre hin¬ 
tereinander sah sie der gleiche Jäger, der sie verivundet hatte, ohne 
sie schießen zu können, und erst im vierten wurde sie seine Beute. 
Bisweilen springt auch eine angeschossene Gemse nur noch eine Strecke 
weit; blutet sie, so geht der Jäger der Blutspur nach und findet 
sie alsdann nicht selten verblutet und entkräftet auf der Erde lie¬ 
gen; hat er aber keine Blutspuren, so ist sein Suchen gewöhnlich 
umsonst. Öfters geschieht es auch, daß, wenn eine Gemse von einer 
steilen Felsenwand herabgeschossen wird, sie in die sich darunter 
öffnenden Abgründe stürzt, so daß sie der Jäger entweder nicht mehr 
finden kann, oder daß sie in Stücke zerfällt, oder aber, daß bei dem 
heftigen Auffallen ihre Eingeweide im Leibe zerplatzen, so daß dem 
Jäger fast nichts übrigbleibt, als die bloße, oft noch zerfetzte Haut. 
Bisweilen gehen auch zwei bis drei Jäger gemeinschaftlich auf die 
Geutsen los; die Schützen stellen sich oben in der Höhe dem Winde 
entgegen und besetzen diejenigen Pässe, wo sie vermuten, daß die 
Gemsen vorbeikommen, indem eilt Treiber dieselben von nuten auf¬ 
wärts zu jagen sucht. In tiefer liegenden Hochgebirgs-Waldnngen 
läßt man sie auch vou Hunden ausspähen und bergauf treiben. 
In allen Fällen, wo man sie im Lauf schießen muß, ladet man drei
	        
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