Full text: [Bd. 3, [Schülerbd.]] (Bd. 3, [Schülerbd.])

Schiller: Der Graf von Habsburg. 
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9. Da setzt ihn der Graf auf sein ritter¬ 
lich Pferd 42) 
Und reicht ihm die prächtigen Zäume, 
Daß er labe den Kranken, der sein be¬ 
gehrt, 
Und die heilige Pflicht nicht versäume; 
Und er selber auf seines Knappen Tier 
Vergnüget noch weiter des Jagens Be¬ 
gier^); 
Der andre die Reise vollführet. 
Und am nächsten Morgen mit danken¬ 
dem Blick 
Da bringt er dem Grafen sein Roß 
zurück, 
Bescheiden am Zügel geführet." 
10. „„Nicht wolle das Gott!"" rief mit 
Demutsinn 44) 
Der Graf, „„daß zum Streiten und Jagen 
Das Roß ich beschritte fürderhin46), 
Das meinen Schöpfer getragen!46) 
Und magst du's nicht haben zu eignem 
Gewinst4?), 
So bleib' es gewidmet dem göttlichen 
Dienst! 
Denn ich hab' es dem ja gegeben, 
Von dem ich Ehre und irdisches Gut 
Zu Lehen trage und Leib und Blut 
Und Seele und Atem und Leben.""46) 
I. Vorbereitung und dann Vortrug. Nach dem Tode des hohen- 
staufischen Kaisers Konrad IV. brach eine traurige Zeit für Deutschland an. 
Man nennt sie das große Interregnum oder Zwischenreich (1254—1273). 
Die deutsche Krone hatte allen Glanz und Reiz verloren, so daß die ver¬ 
schiedenen Parteien sie drei auswärtigen Fürsten — Wilhelm von Holland, 
Richard von Cornwallis und Alphons dem Weisen von Castilien — an¬ 
boten. Aber keiner dieser Schattenkaiser kam zu Macht und Ansehen, so 
daß in Wahrheit Deutschland kaiserlos und ohne einen höchsten Richter 
war. Es war eine schreckliche Zeit, in der die Gesetze mit Füßen ge¬ 
treten und alle Ordnungen aufgelöst wurden. Gewalt ging überall vor 
Recht. Der Schrecken regierte und machte die Schwachen zur leichten 
Beute der Stärkeren. Niemand war seines Lebens und Gutes sicher. 
Handel, Gewerbe und Ackerbau lagen gänzlich darnieder. Dagegen blühte 
das Raubrittertum und das Faustrecht. Die Fürsten und Herren 
rausten sich in endlosen Fehden. Wer die stärkste Faust hatte, den eisernen 
Speer am kräftigsten schleuderte, der behielt recht, schaltete und waltete 
nun als Herr. Von ihren sichern Burgen, die wie Pilze auf allen An¬ 
höhen an den Landstraßen aus der Erde aufschössen, raubten die Ritter 
den schwachen Landleuten und den friedlichen Kaufleuten, was zu 
rauben war. Sie schwangen sich als echte Ritter vom Stegreif in den 
Steigbügel, sobald der Knecht auf dem Wartturm das Zeichen gegeben, 
daß Reisende oder Warenzüge nahten, überfielen die Wagen, verjagten 
oder erschlugen die Begleitmannschaften, raubten die Waren und erpreßten 
11. „So mög auch Gott, der allmächt- 
tige Hort46), 
Der das Flehen der Schwachen erhöret, 
Zu Ehren euch bringen hier und dort66), 
So wie ihr jetzt ihn geehret. 
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt 
Durch ritterlich Walten in: Schweizerland, 
Euch blühen sechs liebliche Töchter; 
So mögen sie," rief er begeistert aus64), 
„Sechs Kronen euch bringen in euer 
Haus, 
Und glänzen die spätsten Geschlechter!"62) 
12. Und mit sinnendem Haupt saß der 
Kaiser da, 
Als dächt' er vergangener Zeiten!66) 
Jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah64), 
Da ergreift ihn der Worte Bedeuten. 
Die Züge des Priesters erkennt er schnell 
Und verbirgt der Thränen stürzenden 
Quell 
In des Mantels purpurnen Falten.66) 
Und alles blickte den Kaiser an 
Und erkannte den Grafen, der das gethan, 
Und verehrte das göttliche Walten.66)
	        
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