582 IV. Gedankenleben in Lehre und Beispiel (Didaktik).
Gedicht trug beim ersten Erscheinen im „Morgenblatt für gebildete
Stände" Nr. 35 vom 10. Februar 1824, S. 137, die Überschrift:
„Kazwinis Parabel vom Kreislauf der irdischen Dinge".
II. Erläuterungen. 1) aber = abermals, wieder. 2) Schal¬
mei — Hirtenflöte von Rohr. 3) Laub und Blatt = die Laub¬
blätter vom Gebüsch und die Blätter des Grases. 4) Wie auf meiner
Weide eine Pflanze nach der andern welkt und dürr wird, andere aber
stets wachsen, so ist's mit allen Dingen der Erde; eine eigentliche
Veränderung merkt man so wenig wie an einem Weideorte. 5) Das
Meer ist tiefer ins Land gedrungen und hat den ehemaligen Boden der
Stadt bedeckt. 6) Port — Hafen, hier Seehafen. 7) Siedelei-----
einsame Ansiedlung im Walde als erster Anfang einer neubeginnenden
Kultur. 8) Hort — Schatz und Schutz. 9) Der Kreislauf vom Hirten-,
Fischer-, Jäger- und Ansiedlerleben beginnt aufs neue.
III. Vertiefung. 1. Einzelbilder, a) Die friedliche Stadt
im Kranze von Obstbäumen, b) Der flötende Hirt auf der Weide,
e) Der Fischer beim Fischfang, ä) Der Ansiedler im Walde, e) Das
Marktgewühl der Stadt.
2. Was thaten Gärtner, Hirt, Fischer, Ansiedler, Markt¬
leute verschiedenes, und worin gleichen sie sich?
3. Gedankengang. Str. 1. Der Bürger der Stadt pflückt
Früchte in seinem Garten. Str. 2. An derselben Stelle weidet nach
fünfhundert Jahren ein Schäfer seine Herde. Str. 3. Nach abermals fünf¬
hundert Jahren fischt hier ein Schiffer im Seehafen. Str. 4. Nach
wieder fünfhundert Jahren fällt daselbst ein Ansiedler Bäume. Str. 5.
Nach derselben Frist erschallt hier das Marktgeschrei einer großen Stadt.
4. Grundgedanken. Nur im Wechsel ist Dauer auf Erden. Es
wechseln unablässig die Formen, doch es bleibt das Wesen. Nur wer
unveränderlich ist, sieht die Veränderung. Wer sich selbst mitverändert,
hält den gegenwärtigen Zustand für einen ewigen. Vor dem ewigen und
unveränderlichen Gott sind tausend Jahre wie der Tag, der gestern ver¬
gangen ist, und wie eine Nachtwache. (Ps. 90, 4.) Ps. 102, 27. 28:
Sie (Himmel und Erde) werden alle veralten wie ein Gewand rc. Du
aber bleibest, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende. —
5. Schönheiten. Die ewige Jugend ist der Maßstab der Ver¬
änderlichkeit alles Irdischen. Nur am Unveränderlichen erkennt und mißt
man die Veränderlichkeit. Wie sticht gegen die menschliche Befangenheit,
die nur den gegenwärtigen Augenblick kennt und nutzt, der göttliche Weit¬
blick ab! Wie heben sich die gleichbleibenden fünfhundertjährigen Wander¬
fahrten des ewigjungen Gottesboten von den tief einschneidenden Ver¬
änderungen an derselben Stelle ab! Wie schön sind von dem Dichter die
Vertreter der einzelnen Kulturperioden gewählt und gezeichnet! In der
Wiederkehr desselben Chidher, desselben Ortes, derselben Antwort, des¬
selben Kreislaufs der Entwicklung läßt uns der Dichter die Atemzüge
der Ewigkeit spüren. P.