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reinen Bogen sich ergießt und unten wieder über die kleinen Steine hin¬
trippelt wie ein munteres Mädchen. Ja! die Sage ist wahr: die Ilse
ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg hinabläuft. Wie
blinkt im Sonnenschein ihr weißes Schaumgewand! Wie flattern im
Winde ihre silbernen Busenbänder! Wie funkeln und blitzen ihre Dia¬
manten! Die hohen Buchen stehen dabei gleich ernsten Vätern, die ver¬
stohlen lachend dem Mutwillen des lieblichen Kindes zusehen; die weißen
Birken bewegen sich tantenhaft vergnügt und doch ängstlich über die ge¬
wagten Sprünge; der stolze Eichenbaum schaut drein wie ein verdrie߬
licher Oheim, der das schöne Wetter bezahlen soll; die Vöglein in den
Lüften jubeln ihren Beifall; die Blumen am Ufer flüstern zärtlich: „O,
nimm uns mit, nimm uns mit, lieb' Schwesterchen!" — Aber das lustige
Mädchen springt unaufhaltsam weiter.-
H. Heine.
91. 's Blümche'.
Bin g'sesfe' im e' grüne Feld
Un' hab e' Blum' betracht't,
Die hot der liebe Gott gar schö'
Un' farbereich gemacht.
O Blümche', hab' ich mer gedenkt,
O wie beneid' ich dich,
Du blühscht so hübsch un' ruhig do,
Wie anners find' ich mich.
Dirwillmer nix, dich quält mer nit,
Du gukscht de' Himmel a'
Un' zählscht in deinem stille' Glück
Die Silberwölkcher dra'.
Un' wie ich des so denk', so kummt
E' Papilion doher;
Der thut, als wann des zarte Ding
For ihn gewachst' wär!
Er schnuft dara' un' grabelt dra
Voll Hunger un' voll Gier
Un' wühlt die Blätter schier caput,
Das übermüt'ge Tier.
Un' wie er wech is, kummt e' Bien',
Mit wüschte, geele Füß',
Die hockt mit Summst d'ruf un' freßt
Un' freßt de' Honig süß.
Un' nocher kummt e' Käffer her,
Der war so schwer un' dumm
Un' druckt und biegt des Blümche' do
Bis uf de' Bodden um.
Un' drüber fangt 's zu dunnre' a',
Un' endlich hagelt 's gar
Ufmich un'Blum' un' Büsch un'Bääm,
Daß 's zum d' erbarme' war.
Die Gränk', so kann dann gar nix sei
In Ruh' un' ohne Plooch,
Warum jetz' des nit anners is,
'Denk' lang schon drüber nooch.
v. Ko bell.
92. Die Alpenrose
Hoch auf demBergim braunen Moose,
Von Eis umglänzt und halb verschneit,
Blüht still empor die Alpenrose,
Ein süß Gedicht der Einsamkeit.
Der lauen Frühlingslüfte Fächeln
Küßt ihre jungen Blätter nicht;
Sie steht wie ein verloren Lächeln
Im starren Felscnangesichr.