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Aus allen Gauen, einzeln und geschart,
Ins Maienseld hinab zur Kaiserwahl.
Am schönen Rheinstrom, zwischen Worms und Mainz,
Wo unabsehbar sich die ebne Flur-
Auf beiden Ufern breitet, sammelte
Der Andrang sich, die Mauern einer Stadt
Vermochten nicht das deutsche Volk zu fassen.
Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt
Die Sachsen samt der slaw'schen Nachbarschaft,
Die Bayern, die Ostsranken und die Schwaben;
Am linken lagerten die rhein'schen Franken.
Die Ober- und die Niederlotharinger.
So war das Mark von Deutschland hier gedrängt.
Und mitten in dem Lager jedes Volks
Erhub sich stolz das herzogliche Zelt.
Da war ein Grüßen und ein Händeschlag,
Ein Austausch, ein lebendiger Verkehr!
Und jeder Stamm verschieden an Gesicht,
An Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht,
An Pferden, Rüstung, Waffenfertigkeit,
Und alle doch ein großes Brudervolk,
Zu gleichem Zwecke festlich hier vereint!
Was jeder im besondern erst beriet
Im hüllenden Gezelt und im Gebüsch
Der Inselbuchten, mählich war's gereift
Zum allgemeinen, offenen Beschluß.
Aus vielen wurden wenige gewählt,
Und aus den wenigen erkor man zween,
Allbeide Franken, fürstlichen Geschlechts,
Erzeugt von Brüdern, Namensbrüder selbst,
Kunrade, längst mit gleichem Ruhm genannt.
Da standen nun auf eines Hügels Saum
Im Kreis der Fürsten, sichtbar allem Volk,
Die beiden Männer, die aus freier Wahl
Das deutsche Volk des Thrones wert erkannt
Vor allen, die der deutsche Boden nährt,
Von allen Würdigen die Würdigsten,
Und so einander selbst an Würde gleich,
Daß fürder nicht die Wahl zu schreiten schien,
Und daß die Wage ruht' im Gleichgewicht.
Da standen sie, das hohe Haupt geneigt,
Den Blick gesenkt, die Wange schamerglüht,
Von stolzer Demut überwältiget.
Ein königlicher Anblick war's, ob dem
Die Thräne rollt' in manchen Mannes Bart.
Und wie nun harrend all' die Menge stand,
Und sich des Volkes Brausen so gelegt,
Daß man des Rheines stillen Zug vernahm, —