Full text: [Teil 4, [Schülerbd.]] (Teil 4, [Schülerbd.])

62 
Aus allen Gauen, einzeln und geschart, 
Ins Maienseld hinab zur Kaiserwahl. 
Am schönen Rheinstrom, zwischen Worms und Mainz, 
Wo unabsehbar sich die ebne Flur- 
Auf beiden Ufern breitet, sammelte 
Der Andrang sich, die Mauern einer Stadt 
Vermochten nicht das deutsche Volk zu fassen. 
Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt 
Die Sachsen samt der slaw'schen Nachbarschaft, 
Die Bayern, die Ostsranken und die Schwaben; 
Am linken lagerten die rhein'schen Franken. 
Die Ober- und die Niederlotharinger. 
So war das Mark von Deutschland hier gedrängt. 
Und mitten in dem Lager jedes Volks 
Erhub sich stolz das herzogliche Zelt. 
Da war ein Grüßen und ein Händeschlag, 
Ein Austausch, ein lebendiger Verkehr! 
Und jeder Stamm verschieden an Gesicht, 
An Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht, 
An Pferden, Rüstung, Waffenfertigkeit, 
Und alle doch ein großes Brudervolk, 
Zu gleichem Zwecke festlich hier vereint! 
Was jeder im besondern erst beriet 
Im hüllenden Gezelt und im Gebüsch 
Der Inselbuchten, mählich war's gereift 
Zum allgemeinen, offenen Beschluß. 
Aus vielen wurden wenige gewählt, 
Und aus den wenigen erkor man zween, 
Allbeide Franken, fürstlichen Geschlechts, 
Erzeugt von Brüdern, Namensbrüder selbst, 
Kunrade, längst mit gleichem Ruhm genannt. 
Da standen nun auf eines Hügels Saum 
Im Kreis der Fürsten, sichtbar allem Volk, 
Die beiden Männer, die aus freier Wahl 
Das deutsche Volk des Thrones wert erkannt 
Vor allen, die der deutsche Boden nährt, 
Von allen Würdigen die Würdigsten, 
Und so einander selbst an Würde gleich, 
Daß fürder nicht die Wahl zu schreiten schien, 
Und daß die Wage ruht' im Gleichgewicht. 
Da standen sie, das hohe Haupt geneigt, 
Den Blick gesenkt, die Wange schamerglüht, 
Von stolzer Demut überwältiget. 
Ein königlicher Anblick war's, ob dem 
Die Thräne rollt' in manchen Mannes Bart. 
Und wie nun harrend all' die Menge stand, 
Und sich des Volkes Brausen so gelegt, 
Daß man des Rheines stillen Zug vernahm, —
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.