Full text: Die Welt im Spiegel der Nationalliteratur ([5], [Schülerbd.])

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Stellen wir uns auf den Standpunkt der Beobachtung, so er¬ 
scheint uns der Himmel als ein großes, blaues Gewölbe, das auf 
den äußersten Rändern der Erdscheibe aufliegt, und an dessen innerer 
Wölbung die Sterne gleich goldenen Nägeln befestigt sind. Einige 
dieser Himmelslichter funkeln in einem Glanze, der alles übertrifft, 
was wir auf Erden kennen; andere leuchten in einem milderen, 
sanfteren Lichte, ohne Strahlenblitze; wieder andere, und zwar schon 
eine beträchtlich größere Anzahl, glänzen in einem stufenweise ge¬ 
ringeren Grade, jedoch immer noch dem Auge unterscheidbar. Bei 
weitem die meisten aber senden aus den unabsehbaren Fernen des 
Weltraumes nur einen blassen Schimmer, der in uns die Ahnung 
erweckt, als ob sie an diesen Stellen des Himmels schichtenweise 
hintereinander ständen. Auch die Farbe der Sterne erscheint einem 
scharfen Auge verschieden. Zwar leuchtet der größere Teil derselben 
in einem weißlichen oder gelben Lichte, aber viele haben auch einen 
rötlichen, bläulichen, goldfarbenen oder grünlichen Schimmer. Alle 
scheinen in größter Unregelmäßigkeit am Firmament verteilt zu sein; 
denn während sie an einigen Stellen desselben vereinzelt stehen, 
bilden sie an andern größere oder kleinere Gruppen, und in einer 
Gegend des Himmels, der sogenannten Milchstraße, stehen sie so 
dicht gedrängt, daß sie gleichsam wie ein großer, breiter Lichtgürtel 
das Gewölbe desselben zu umziehen scheinen. 
Der Eindruck der Ruhe und Unbeweglichkeit, den der Stern¬ 
himmel beim ersten Anblick auf unser Auge macht, zeigt sich indessen 
bei fortgesetzter Beobachtung als eine Täuschung. Denn wenn wir 
uns einzelne Gegenstände auf der Erde, z. B. einen Berggipfel oder 
eine Turmspitze, über denen wir gewisse Sterne erblicken, genau 
merken, so werden wir schon nach Verlauf einer Viertelstunde wahr¬ 
nehmen, daß diese Sterne in der Richtung von Osten nach Westen 
von ihnen weggerückt sind. In gleicher Weise, wie die Sonne auf¬ 
geht, ihren Himmelspfad wandelt und untergeht, so sehen wir auch 
das Heer der Sterne am östlichen Horizonte emporsteigen, in ruhigem, 
stets gleichmäßigem Laufe einen Bogen am Himmel beschreiben und 
sich dann im Westen wieder unter den Gesichtskreis hinabsenken. Am 
folgenden Tage, um die nämliche Stunde, erblickt man sie wieder an 
derselben Stelle des Osthimmels, und sie wiederholen auf die nämliche 
Weise denselben Lauf. Sie müssen also in der Zeit, in der sie un¬ 
sichtbar waren, unter unseren Füßen herumgegangen sein; und so hat 
es den Anschein, als ob Sonne, Mond und Sterne sich in Zeit von 
vierundzwanzig Stunden in der Richtung von Osten nach Westen 
rings um die Erde bewegten, und zwar so, daß dabei kein Stern 
seine Stellung gegen den andern verändert. 
Diese allgemeine Erscheinung des Sternenlaufes erleidet jedoch 
bei fortgesetzter Beobachtung mancherlei Ausnahmen. Hierher gehören 
zunächst eine große Menge Sterne am nördlichen Himmel. Diese 
gehen nämlich in unseren Gegenden gar nicht auf und unter, sondern
	        
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