42 νννννν[Ÿ]] Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen Aννα
in den genannten adeligen Übungen begriffen; aber in den Wissen—
schaften war ich nur so weit vorgeschritten, daß ich kaum bis fünf
zählen konnte. Mein Knan folgte darin nur dem Brauch der Zeit;
denn es galt als vornehm, sich wenig mit Studien oder Schul—
possen — wie es genannt wurde — zu befassen, weil man seine
Leute für diese Plackereien hatte; doch war ich ein trefflicher Musikus
auf der Sackpfeife, auf der ich schöne Klagelieder spielen konnte.
Was aber die Gottesgelahrtheit betrifft, so glaube ich, daß sich in
der ganzen Christenheit keiner meines Alters mit mir vergleichen
konnte; denn ich kannte weder Gott noch Menschen, weder Engel
noch Teufel, noch wußte ich das Gute vom Bösen zu unterscheiden.
Ich lebte, wie unsere ersten Eltern im Paradiese gelebt haben, die
in ihrer Unschuld von Krankheit, Tod und Sterben ebensowenig wie
von der Auferstehung wußten. Ganz derselben Art waren meine
Kenntnisse in den Gesetzen und allen andern Künsten und Wissen—
schaften, ja ich war so vollkommen in der Unwissenheit, daß es mir
unmöglich war, zu wissen, daß ich nichts wußte. O, edles
Leben — man könnte auch Eselsleben sagen — das ich da—
mals führte! Aber mein Knan wollte mich diese Glückselig—
keit nicht länger genießen lassen, sondern wollte, daß ich meiner
adeligen Geburt gemäß auch adelig tun und leben sollte. Des—
halb fing er an, mich zu höheren Dingen heranzuziehen und mir
eine schwerere Aufgabe zuzuweisen. —
Mein Knan stellte mich als Hirte in seiner Hofhaltung
an. Er vertraute mir erst seine Schweine, dann seine Ziegen
und endlich seine ganze Schafherde an, damit ich sie hütete,
weidete und mit meiner Sackpfeife vor dem Wolfe schützte. Doch
kannte ich damals den Wolf ebensowenig wie meine eigene Un—
wissenheit, weshalb mein Knan mit seiner Unterweisung nur desto
eifriger war. Er sagte: „Bub, sei fleißig und laß die Schafe nicht
zu weit voneinander laufen und spiele wacker auf der Sackpfeife, daß
der Wolf nicht komme und Schaden tue; denn er ist ein arger vier—
beiniger Schelm und Dieb, der Menschen und Vieh frißt. Wenn
du aber fahrlässig bist, so will ich dir den Buckel versohlen.“ Ich
antwortete mit gleicher Holdseligkeit: „Knan, sage mir nur, wie
der Wolf aussieht; ich habe mein Lebtag noch keinen Wolf gesehen!“
„Ach du alter Eselskopf,“ erwiderte er, „du bleibst dein Lebtag
ein Narr; es nimmt mich wunder, was aus dir noch wird. Bist
schon so ein großer Tölpel und weißt noch nicht, was der Wolf für
ein vierfüßiger Schelm ist.“ Er gab mir noch mehr Unterweisungen
und wurde zuletzt so unwillig, daß er brummend fortging; denn er
meinte, mein grober Verstand könnte seine feine Belehrung nicht