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Und wie er alles wohl erprobt, Da stand mit weiter Spalte offen
Mit Lächeln er das Schießzeug lobt. Des Försters Bolz, ihn schnitt ins
Er setzt den Bogen vor die Brust, Mark
Er spannt ihn leicht mit stolzer Lust, Des Jünglings Schuß gerecht und
Und staunend sahn die Schützen an stark.
Den starken Arm bei zartem Mann. Der Herold tritt zum Scheibenhaus,
Wild blitzt sein Aug' aufs Ziel ge- Er zieht die Bolze beid' heraus
wandt, Und legt sie in des Grafen Hand,
Als wollt' er's sengen mit dem Brand; Der staunend ob dem Wunder stand—
Doch bändigt er des Herzens Wellen, Des Försters Bolz war ganz zer—
Die hoch in Siegeshoffnung schwellen; schmettert,
Er kühlt sich den entflammten Sinn, Gleich einer Rose aufgeblättert;
Klar, fest und stille schaut er hin; Es saß darin der zweite Bolz,
Er drückt — der Bügel mächtig klingt, Fest eingekeilt ins harte Holz,
Lautschwirrend sich die Sehne schwingt, Und war hinfort kein Zweifel dran,
Es saust der Bolz — er hat getroffen! Wer hier den Meisterschuß gethan.
27. Die Lawinen.
Friedrich von Tschudi. Das Thierleben der Alpenwelt. 6. Aufl. Leipzig, 1861.
Zu den pittoreskesten Phänomenen der Alpenlandschaft gehören
die Lawinen, im Tessin Luvina oder Slavina genannt, diese un—
geheueren, donnernden Schneeströme, deren Majestät eben so groß
ist wie die Furchtbarkeit ihrer Gewalt. Sie kehren periodisch wieder,
haben ihre bestimmten Züge und Gänge, ihre Kessel, in denen sie
aufgehoben werden, ihre Lagerfelder, wo die bewegten Massen zur
Ruhe kommen. Ein großer Theil der Alpen bedient sich dieser
Kanäle, um sich stellenweise ungeheurer Schneegebiete zu entledigen,
und zwar mit einer Regelmäßigkeit, die sich nach Wochen, ja nach
Tagen berechnen läßt; genaue Beobachter können oft die Stunden
bezeichnen, wo die Lawine kommen wird. Die Formen dieser Schnee—
stürme sind mannigfach; bald treten sie bloß als kleine Schlipfe
auf, in denen die Schneeanhäufungen eines gewissen Felsengebietes
durch gröbere Bergfurchen abgehen, oder es sind zusammengebrochene
Windschilde oder Windbretter (die durch einen anhaltenden Wind—
strich bei starkem Schneefall an einer Felsenzinne aufgethürmten
Massen), die ohne ordentliche Grundlage durch das eigene Gewicht
zusammenbrechen und überall niederstürzen können, je nachdem ge—
rade eine Windrichtung ihren Ansatz veranlaßt hatte. Gewöhnlich
sind sie nicht gefährlich und gehen nicht weit; doch riß ein solches
Windbrett auf dem Bernhardin die Postschlitten mit dreizehn Personen
in den Abgrund. In gewissen Lagen können sie begreiflich zu