145 
Handeln. Und bis er all seine großen, mittleren, kleinen und kleinsten 
Bedenklichkeiten bedacht und abermals bedacht hat, ist's schon lange zu 
spät für die Ausführung. Also vergiß nicht über dem Wagen das Wiegen, 
aber auch nicht über dem Wiegen das Wagen! 
K. Enslin. 
zWean den Weg baut, hat viele Meister. 
Ertlärung: Ein Gebäude, welches an einem Wege steht, den 
viele gehen, muß vielen in die Augen fallen. Sie werden es betrachten 
und dies und jenes daran zu tadeln finden, d. h. sie werden daran 
meistern. Dem einen gefallen die Fenster nicht recht, der andere tadelt 
das Dach, und ein dritter wünscht ihm eine andere Farbe. 
Sinn: Wie ein am Wege stehendes Haus von diesem oder jenem 
getadelt wird, so ist auch jede öffentliche Handlung der Beurteilung 
Inderer ausgeseht. Die Menschen tadeln gern, und so wird auch ihr 
Urteil öfters hart ausfallen. 
Lehre: Prahle nicht mit deinen Leistungen; stelle sie nicht ohne 
Nutzen zur Schaul Bedenke das Sprichwort! Mußt du aber öffentlich 
handeln, bist du dir dabei einer guten Absicht bewußt, so tröste dich bei 
horkommendem Tadel mit dem Sprichworte: Wer an den Weg baut, 
hat viele Meister. 
L. Kellner. 
6. Die Lehren des alten Richard. 
Einst, so erzählt Franklin, hielt ieh mit meinem Pferde an 
einem Orte an, vwo sieh einer öffentlichen Versteigerung wegen 
eine Menge Menschen versammelt hatte. Es war noch etwas 
früh; die Leute sprachen von den schlechten Zeiten, und einer 
von ihnen wandte sich an einen alten, dem Ansehen nach vohl- 
habenden Mann mit grauen Haaren: „Und Lhr, Vater Richard, 
was sagt Ihr zur jetzigen Zeit? Glaubt Ihr nicht auch, dab die 
zehweren Abgaben das Land ganz aussaugen verden?“ Vater 
Richard stand auf und erwiderte: „Mein guter Rat steht eueh 
und zwar in aller Kürze zu Diensten; denn ein Wort ist dem 
Weisen und Verständigen genug.“ Die ganze Gesellschaft drang 
in ihn, er möge sprechen. Man trat in einen Kreis um ihn, und 
er fing also an:; 
„Liebe Preunde und gute Nachbarn! Die Abgaben sind aller· 
dings etwas schwer; allein wenn wir sonst keine als an die Obrigkeit 
N. Gotteßleben, Deutsches Lesebuch. 
10