115 
Wem Gott will rechte Gunst erweisen, 
Den schickt er in die weite Welt, 
Dem will er seine Wunder weisen 
In Berg und Wald und Strom und Feld. 
Die Trägen, die zu Hause liegen, 
Erquicket nicht das Morgenrot, 
Sie wissen nur vom Kinderwiegen, 
Von Sorgen, Last und Not um Brot. 
Die Bächlein von den Bergen springen, 
Die Lerchen schwirren hoch vor Lust, 
Was sollt’ ich nicht mit ihnen singen 
Aus voller Kehl’ und frischer Brust? 
Den lieben Gott laß ich nur walten; 
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld 
Und Erd’ und Himmel will erhalten, 
Hat auch mein’ Sach’ aufs best’ bestellt! 
Indem, wie ich mich so umsehe, kommt ein köstlicher Reisewagen 
ganz nahe an mich heran; der mochte wohl schon einige Zeit hinter mir 
drein gefahren sein, ohne daß ich es merkte, weil mein Herz so voller 
Klang war, denn es ging ganz langsam, und zwei vornehme Damen steckten 
die Köpfe aus dem Wagen und hörten mir zu. Die eine war besonders 
schön und jünger als die andere, aber eigentlich gefielen sie mir alle beide. 
Als ich nun aufhörte zu singen, ließ die ältere still halten und redete 
mich holdselig an: „Ei, lustiger Gesell, Er weiß ja recht hübsche Lieder 
zu singen." Ich nicht zu faul dagegen: „Ew. Gnaden aufzuwarten, wüßt’ 
ich noch viel schönere.“ Darauf fragte sie mich wieder: „Wohin wandert 
Er denn schon so am frühen Morgen?“ Da schämte ich mich, daß ich 
das selber nicht wußte, und sagte dreist: „Nach Wien.“ Nun sprachen 
beide miteinander in einer fremden Sprache, die ich nicht verstand. Die 
jüngere schüttelte einigemal mit dem Kopfe, die andere lachte aber in 
einem fort und rief mir endlich zu: „Spring Er nur hinten mit auf, wir 
fahren auch nach Wien.“ Wer war froher als ich! Ich machte eine 
Reverenz und war mit einem Sprunge hinter dem Wagen, der Kutscher 
knallte, und wir flogen über die glänzende Straße fort, daß mir der Wind 
am Hute pfiff. 
Hinter mir gingen nun Dorf, Gärten und Kirchtürme unter, vor mir 
neue Dörfer, Schlösser und Berge auf; unter mir Saaten, Büsche und 
Wiesen bunt vorüberfliegend, über mir unzählige Lerchen in der klaren 
blauen Luft — ich schämte mich, laut zu schreien, aber innerlichst jauchzte 
ich und strampelte und tanzte auf dem Wagentritt herum, daß ich bald 
meine Geige verloren hätte, die ich unterm Arme hielt. Wie aber denn 
die Sonne immer höher stieg, rings am Horizont schwere, weiße Mittags¬ 
wolken aufstiegen, und alles in der Luft und auf der weiten Fläche so 
leer und schwül und still wurde über den leise wogenden Kornfeldern, da 
fiel mir erst wieder mein Dorf ein und mein Vater und unsere Mühle, 
wie es da so heimlich kühl war an dem schattigen Weiher, und daß nun 
alles so weit, weit hinter mir lag. Mir war dabei so kurios zumute, als 
müßt’ ich wieder umkehren; ich steckte meine Geige zwischen Rock und 
Weste, setzte mich voller Gedanken auf den Wagentritt hin und 
schlief ein. 
8
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.