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Kleine mit unbefangenen, großen Augen zutraulich anblickt: „Vater, der
Lehrer hat gesagt, Kinder sollen immer in den Fußtapfen ihrer Eltern
gehen." Und der ehrliche Blick des hübschen Knaben sagt deutlich genug, daß
er keinen Streich im Sinne gehabt; er hat wirklich nur in treuherzigem Ge¬
horsam der allzuwörtlich verstandenen Weisung des Lehrers folgen wollen.
2. Im Vorzimmer der liebenswertesten Königin Preußens, Luise,
sitzen mehrere Kammerdiener und Lakaien. Sie schlagen die Zeit mit
Kartenspiel, mit fader Unterhaltung tot; denn selten nur begehrt die
einfache fürstliche Frau persönliche Dienstleistungen.
Ein schöner, junger Mann mit kühner ©iirit und natürlich fallender
Stirnlocke sitzt allein an einem Tische am Fenster. Sein Anzug kenn¬
zeichnet ihn als einen Kollegen der andern; aber seine Hände bilden aus
Wachs die Figur eines jugendlichen schlafenden Schäfers, und mit leuch¬
tendem Auge verfolgt er jeden Fortschritt in der Gestaltung des kleinen
Modells.
Der eifrige Bildner ist der einstige Knabe aus Arolsen. Noch
immer ist er allzutreulich in die Fußtapsen seines Vaters getreten: er ist
Kammerdiener geworden. Aber der Dienst auch bei der anmutigsten
Fürstin ist seinem drängenden Kunsttriebe eine hemmende Schranke, und
sein hochfliegender Geist ringt nach Befreiung von allem Fürsten- und
Menschendienst.
3. In der Georgenstraße zu Berlin steht ein Künstler betrachtend
in seiner Werkstatt vor dem Modell der schlafenden Königin, das er ge¬
schaffen. Mehr als lebensgroß liegt die in Gips geformte Gestalt vor
ihm, als seien die edlen Glieder nur in sanftem Schlummer leicht gelöst,
das seitwärts geneigte Antlitz wie in holdem Traume verklärt — ach, es
lächelt ja längst in einem Lichte der Verklärung, das kein Marmor¬
schimmer wiedergeben kann! Die stille Gipsmasse ist dem Könige immer
noch zu starr, zu tot gewesen, um seinem Auge die geliebte Gemahlin
wiederzubringen; oft ist er hier in des Bildhauers stille Werkstatt ge¬
treten, oft hat er noch dies und das zu bemerken und zu verbessern ge¬
funden. Aber kann die Kunst je ersetzen, was das Leben genommen? —
Der Künstler hat jeder Anordnung des Monarchen Rechnung zu tragen
gesucht; er hat nicht nur die hoheitvolle Königin, die leidbewährte
Dulderin dem Volke, er hat auch die zärtliche Geniahlin den: Gatten
geben wollen. Er hat sich bemüht, mit des Königs Auge zu sehen und
so heute die letzte Änderung vollbracht. Prüfend, wartend steht die hohe
Gestalt des Bildners mit dem geistvollen, mächtigen Antlitz. Friedrich
Wilhelm III. tritt ein. Stumm bewegt steht er; lange, innig ruht sein
Auge auf dem schönen Bildwerke und füllt sich mit Tränen. Stumm,
seiner Empfindung nicht mächtig, geht der Monarch mit gesenktem Haupte
wieder hinaus. Fortan durfte der Künstler keine Linie am Denkmal
mehr andern. Diese Tränen im Auge des Königs, da die Züge seiner
geliebten Luise aus der toten Masse zu ihm gesprochen, waren dem Künstler
höherer Lohn als alle Ehren, Orden und Auszeichnungen, die ihm später