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etwas kann in einem Narrenturm doch nicht vorkommen, denn zu
solcher Narrheit gehört auch eine gute Menge von Schlechtigkeit
und Herzlosigkeit! Dieser bunte Kopfputz der „Damen“ ist endlich
aber den anderen doch zu bunt geworden, und sie haben deshalb
einen Bund gegründet, um die abscheuliche Vogelmörderei abzu—
schaffen.
„Ist es doch wahr?“ rief die Schwalbe hoch erregt aus. „Heute
habe ich unterwegs so etwas gehört von diesem Bunde der Vogel—
freunde. Ich konnte es kaum glauben, daß es neben den bösen
Menschen auch noch so gute gibt; aber nun es schon die Spatzen auf
dem Dache pfeifen, wird es wohl wahr sein.“ — „Ich will dir auch
sagen, Schwalbenvogel,“ zwitscherte der Spatz dem andern vertrau—
lich zu, „daß sogar in diesem Hause, auf dessen Giebel wir sitzen,
Leute wohnen, die zu den Vogelschutzbündlern gehören.“
Als die Schwalbe das gehört hatte, hob sie ihr stahlblinkendes
Köpflein und sagte: „Auch in diesem Hause? Wenn dem so ist,
dann will ich nicht fortfliegen. Dann will ich mich auf meinem alten
Familiensitze niederlassen und versuchen, ein neues Leben anzufangen.
Das Haus soll gesegnet sein!“ Peter Rosegger.
159. Aus der Kindheit.
„Ja, das Kätzchen hat gestohlen,
und das Kätzchen wird ertränkt.
Nachbars Peter sollst du holen,
daß er es im Teich versenkt!“
Nachbars Peter hat's vernommen,
ungerufen kommt er schon:
„Ist die Diebin zu bekommen,
gebe ich ihr gern den Lohn!“
„Mutter, nein, er will sie quälen.
Gestern warf er schon nach ihr,
bleibt nichts andres mehr zu wählen,
so ertränk' ich selbst das Tier.“
Sieh, das Kätzchen kommt ge—
sprungen,
wie es glänzt im Morgenstrahl!
Lustig hüpft's dem kleinen Jungen
auf den Arm zu seiner Qal.
„Mutter, laß das Kätzchen leben;
jedesmal, wenn's dich bestiehlt,
Lüneburger Lesebuch. Oberstufe.
sollst du mir kein Frühstück geben,
sieh nur, wie es artig spielt!“
„Nein, der Vater hat's geboten,
hundertmal ist ihr verziehn!“
„Hat sie doch vier weiße Pfoten!“
„Einerlei! Ihr Tag erschien!“
„Nachbarin, ich folg' ihm leise,
ob er es auch wirklich tut!“
Peter spricht es häm'scherweise,
und der Knabe hört's mit Wut.
Unterwegs auf manchem Platze
bietet er sein Liebchen aus,
aber keiner will die Katze,
jeder hat sie längst im Haus.
Ach, da ist er schon am Teiche,
und sein Blick, sein scheuer, schweift,
ob ihn Peter noch umschleiche —
ja, er steht von fern und pfeift.
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