Full text: [Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.]] (Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.])

— 130 — 
Bücherballen aus Deutschland in die Provinz gewandert, das Lesen und 
Kaufen war zum Verwundern frei, sogar die gedruckten Angriffe auf 
den eigenen Landesherrn. In Österreich war es Privilegium1) der Vor¬ 
nehmen, ausländisches Tuch zu tragen. Als in Preussen der Vater Fried¬ 
richs des Grossen die Einfuhr von fremdem Tuch verboten hatte, kleidete 
er zuerst sich und seine Prinzen in Landtuch. In Wien hatte kein 
Amt für vornehm gegolten, wenn dazu noch etwas anderes als Repräsen¬ 
tation2) erfordert wurde, alle Arbeit war Sache der Subalternen3); der 
Kammerherr galt mehr als der verdiente General und Minister. In 
Preussen war auch der Vornehmste gering geachtet, wenn er dem Staate 
nichts nützte, und der König selbst war der allergenaueste Beamte, der 
über jedes Tausend Thaler, das erspart oder verausgabt wurde, sorgte 
und schaltete. Wie im übrigen Preussen, so konnte jedermann auch hier 
„nach seiner Façon4) selig werden“; der König duldete jede Religion, 
forderte aber unbedingten Gehorsam gegen die Landesgesetze. Bei den 
Kaiserlichen war es der Regierung im ganzen lästig gewesen, wenn sie sich 
um etwas hatte bekümmern müssen; die preussischen Beamten hatten 
ihre Nase und ihre Hände überall. Trotz der drei schlesischen Kriege 
war das Land weit blühender als zur Kaiserzeit. Einst hatten hundert 
Jahre nicht ausgereicht, die handgreiflichen Spuren des dreissigjährigen 
Krieges zu verwischen; die Leute erinnerten sich wohl, wie überall in 
den Städten die Schutthaufen aus der Schwedenzeit gelegen hatten, über¬ 
all neben den gebauten Häusern die wüsten Brandstellen. Viele kleine 
Städte hatten noch Blockhäuser nach alter slavischer Art mit Stroh- und 
Schindeldach, seit lange dürftig ausgeflickt. Durch die Preussen waren 
die Spuren nicht nur alter Verwüstung, auch der neuen des siebenjährigen 
Krieges nach wenigen Jahrzehnten getilgt. Friedrich hatte einige hun¬ 
dert neue Dörfer angelegt, hatte fünfzehn ansehnliche Städte zum grossen 
Teil auf königliche Kosten wieder in regelmässigen Strassen ausmauern 
lassen, er hatte den Gutsherren den harten Zwang aufgelegt, einige 
tausend eingezogene Bauernhöfe wieder aufzubauen und mit erblichen 
Eigentümern zu besetzen. Zur Kaiserzeit waren die Abgaben weit gerin¬ 
ger gewesen, aber sie waren ungleich verteilt und lasteten zumeist auf 
den Armen, der Adel war vom grössten Teile derselben befreit, die Er¬ 
hebung war ungeschickt, viel wurde veruntreut und schlecht verwendet, 
es floss verhältnismässig wenig in die kaiserlichen Kassen; die Preussen 
dagegen hatten das Land in kleine Kreise geteilt, den Wert des gesam¬ 
ten Bodens abgeschätzt, in wenig Jahren alle Steuerbefreiung aufgehoben, 
das Land zahlte jetzt seine Grundsteuer, die Städte ihre Accise.5) So 
trug die Provinz die doppelten Lasten mit grösserer Leichtigkeit, nur 
die Privilegierten murrten, und dabei konnte sie noch 40000 Soldaten 
unterhalten, wälirend sonst etwa 2000 im Lande gewesen waren. Vor 
1740 hatten die Edelleute die grossen Herren gespielt; wer katholisch 
D Vorrecht. 2) Stellvertretung (des Königs).3) Unterbeamte. 4) spr. Fassung, 
eigentlich die Fassung einer künstlich verfertigten Sache, die Form, hier die 
Art und Weise des Glaubens. 5) Lebensmittelsteuer.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.