Full text: [Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.]] (Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.])

186 
B. Are neue Wett. 
71. Die Auswanderer. 
1. Ich kann den Blick nicht von euch 
wenden; 
ich muß euch anschau'n immerdar; 
wie reicht ihr mit geschäft'gen Händen 
dem Schiffer eure Habe dar! 
2. Ihr Männer, die ihr von dem 
Nacken 
die Körbe langt, mit Brot beschwert, 
das ihr aus deutschem Korn gebacken, 
geröstet habt auf deutschem Herd; 
3. Und ihr, im Schmuck der langen 
Zöpfe, 
ihr Schwarzwaldmädchen, braun und 
schlank, 
wie sorgsam stellt ihr Krug' und Töpfe 
auf der Schaluppe grüne Bank! 
4. Das sind dieselben Töpf' und Krüge, 
oft an der Heimat Born gefüllt; 
wenn am Missouri alles schwiege, 
sie malten euch der Heimat Bild: 
5. Des Dorfes steingefaßte Quelle, 
zu der ihr schöpfend euch gebückt, 
des Herdes traute Feuerstelle, 
das Wandgesims, das sie geschmückt. 
6. Bald zieren sie im fernen Westen 
des leichten Bretterhauses Wand; 
bald reicht sie müden, braunen Gästen, 
voll frischen Trunkes, eure Hand. 
7. Es trinkt daraus der Tscherokese 
ermattet, von der Jagd bestaubt; 
nicht mehr von deutscher Rebenlese 
tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt. 
8. O sprecht! warum zogt ihr von 
dannen? 
Das Neckarthal hat Wein und Korn; 
der Schwarzwald steht voll finstrer 
Tannen, 
im Spessart klingt des Älplers Horn. 
9. Wie wird es in den fremden 
Wäldern 
euch nach der Heimatberge Grün, 
nach Deutschlands gelben Weizenfeldern, 
nach seinen Rebenhügeln zieh'n! 
10. Wie wird das Bild der alten Tage 
durch eure Träume glänzend weh'u! 
Gleich einer stillen, frommen Sage 
wird es euch vor der Seele steh'n. 
11. Der Bootsmann winkt!-Zieht hin in Frieden; 
Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis! 
Sei Freude eurer Brust beschieden, 
und euren Feldern Reis und Mais! Freiligrath. 
72. Ans der Überfahrt. 
1. Es schwimmt ein Schiff weit draußen auf dem Meer, 
Auswandrer führt's, ihr Herz ist voll und schwer; 
Erinn'rung trägt sie an des Rheines Strand, 
wo unter Reben ihre Hütte stand. 
2. Ein Sonntagsmorgen ist's; den Strom erltlang 
tönt in der Heimat jetzt der Glocken Klang; 
und wo ein Kirchlein steht, da naht sich still 
die Schar der Beter, die Gott dienen will. 
3. Kein Ton schwingt sich herüber. Alles schweigt — 
zwei Männer haben tief das Haupt geneigt. 
Der eine spricht: „Heut' fehlt mir Gottes Wort!" 
Der andre drauf: „Ich nahm es mit an Bord." 
4. Er holt die Bibel, kehrt die Blätter um 
und sucht das Sonntagsevangelium 
und lächelt und liest laut, wie Jesus Christ 
sanft eingeschlummert in dem Schifflein ist.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.