Full text: [Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.]] (Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.])

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der Melonen-Kaktus, verschließt unter seiner stachligen Hülle ein wasser¬ 
reiches Mark. Mit dem Vorderfuße schlägt das Maultier die Stacheln 
seitwärts und wagt es dann erst, die Lippen behutsam zu nähern und den 
kühlen Distelsaft zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieser lebendigen 
vegetabilischen Quelle ist nicht immer gefahrlos; oft sieht man Tiere, welche 
von Kaktusstacheln am Hufe gelähmt sind. 
Folgt auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der hier 
immer gleich langen Nacht, so können Rinder und Pferde selbst dann nicht 
sich der Ruhe erfreuen. Ungeheure Fledermäuse saugen ihnen während 
des Schlafes vampirartig das Blut aus oder hängen sich an dem Rücken 
fest, Wo sie eiternde Wunden erregen, in welche Mosquitos*), Hippobosken^) 
und eine Schar stechender Insekten sich ansiedeln. So führen die Tiere 
ein schmerzvolles Leben, wenn vor der Glut der Sonne das Wasser auf 
dem Erdboden verschwindet. 
Tritt endlich nach der Dürre die wohlthätige Regenzeit ein, so ver¬ 
ändert sich plötzlich die Scene in der Steppe. Das tiefe Blau des bis 
dahin nie bewölkten Himmels wird lichter. Kaum erkennt man bei Nacht 
den schwarzen Raum im Sternenbilde des südlichen Kreuzes. Der sanfte, 
phosphorartige Schimmer der magellanischen Wolken verlischt. Selbst die 
scheitelrechten Gestirne des Adlers und des Schlangenträgers leuchten mit 
zitterndem, minder planetarischem Lichte. Wie ein entlegenes Gebirge 
erscheint einzelnes Gewölk im Süden, senkrecht aufsteigend am Horizonte. 
Nebelartig breiten allmählich die vermehrten Dünste sich über den Zenith 
aus. Den belebenden Regen verkündigt der Donner. 
Kaum ist die Oberfläche der Erde benetzt, so überzieht sich die duftende 
Steppe mit Kyllingien^), mit vielrispigem Paspalum^) und mannigfaltigen 
Gräsern. Vom Lichte gereizt, entfalten krautartige Mimosen") ihre gesenkt 
schlummernden Blätter und begrüßen die aufgehende Sonne, wie der Früh¬ 
gesang der Vögel und die sich öffnenden Blüten der Wasserpflanzen. Pferde 
und Rinder weiden nun im frohen Genusse des Lebens. Das hoch auf¬ 
schießende Gras birgt den schön gefleckten Jaguar. Im sicheren Versteck 
auflauernd und die Weite des einzigen Sprunges vorsichtig messend, erhascht 
er die vorüberziehenden Tiere katzenartig wie der asiatische Tiger. 
Bisweilen sieht man (so erzählen die Eingeborenen) an den Ufern der 
Sümpfe den befeuchteten Letten sich langsam und schollenweise erheben. 
Mit heftigem Getöse, wie beim Ausbruche kleiner Schlammvulkane, wird 
die aufgewühlte Erde hoch in die Luft geschleudert. Wer des Aublickes 
kundig ist, flieht die Erscheinung; denn eine riesenhafte Wafferschlange oder 
ein gepanzertes Krokodil steigen aus der Gruft hervor, durch den ersten 
Regenguß aus dem Scheintode erweckt. 
Schwellen nun allmählich die Flüsse, welche die Ebene südlich be¬ 
grenzen, der Arauca, der Apure und der Payara, so zwingt die Natur 
0 Stechfliegen. — 2) Pferdebremsen. — 3) Eine am südlichen Himmel be¬ 
findliche und nach dem Erdumsegler Magellan benannte dichte Sternengruppe. — 
*) Eine nach einem dänischen Botaniker benannte Gattung grasartiger Pflanzen. 
— si) Das Pfannengras. — ") Empfindsame Sinnpflanzen.
	        
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