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hat der Meineidige Treue und Redlichkeit verletzt, und wie kann ohne 
diese die menschliche Gemeinschaft bestehen? So hat er denn auch vor 
Menschen seine Last zu tragen: dass er der Verurteilung anheimfällt 
und Zuchthausstrafe erleiden muss, ist das Geringere; aber er verfällt 
auch der allgemeinen Verachtung, er verliert Ehre und Ehrenrechte und 
muss wie ein Geächteter unter redlichen Leuten wandeln. 
Drum sei bei der Eidesleistung strengste Gewissenhaftigkeit heilige 
Pflicht! Nur das beschwöre ein jeder, was er gewiss und sicher weiss; 
nur das gelobe er, was er ausführen kann und nach Recht und Sitte 
ausführen darf. Mag Reichtum und Vorteil auf dem Spiele stehen, die 
Wahrheit steht am höchsten, und reiner Sinn ist ein innerer Besitz, 
der alles andere reichlich aufwiegt. 
Dies edle Gut wahre dir, Jüngling, so gut du es vermagst! Wer 
immer gleich mit Versicherungen bei der Hand ist, wie „auf Ehre, auf 
Ehr’ und Seligkeit!" der wird’s bald dahin bringen, dass man nicht viel 
auf seine Glaubwürdigkeit hält; denn so hohe Besitztümer verpfändet 
man nicht leichthin, das hiesse ein frevles Spiel damit treiben. Du hast 
es in deiner Hand, dass dein blosses Ja und Nein vollwichtig geachtet 
wird, wie edles Metall. 
So schnell, oft um nichtiger Dinge willen, ist ein Eideswort gesprochen, 
und doch umfasst es Zeit und Ewigkeit. Heilig sei dir der Eid um der 
Wahrheit, um deines himmlischen und irdischen Wohles willen. 
Nägelsbach. 
13. Sei wahrhaft! 
Immer straft sich die Lüge selbst, indem sie sich immer ärger ver¬ 
wickelt. — Klug sich in Welt und Menschen fügen, gern nützlich sein, so 
viel man kann, — sich selbst und andre nicht betrügen: die Lehre paßt 
für jedermann. Magst du die Lüge noch so klug — in das Gewand der 
Wahrheit kleiden, der Dümmste ist nicht dumm genug, — Um beide nicht 
zu unterscheiden. — Willst du klug durchs Leben wandern — prüfe andre, 
doch auch dich! — Jeder täuscht gar gern den andern, — doch am liebsten 
jeder sich. Bodcnftedt. 
c. Höflichkeit, Ehrlichkeit, Demut und Bescheidenheit. 
14. Wie ein alter Meister über «Höflichkeit dachte. 
Ich habe einmal ein Sprüchlein gelesen, das lautet: „Mit dem Hute 
in der Hand, kommt man durch das ganze Land." Das gab mir gar 
vielen Stoff zun: Denken. 
Wahre Höflichkeit und Bescheidenheit sind Zwillinge; sie lassen sich 
nicht trennen. Warum haben denn wir Alten die Höflichkeit an jungen 
Leuten so gern? Es ist wahrhaftig nicht Verdruß über verletzte, dem 
Alter schuldige Ehrcrbietinlg, wenn uns das unhöfliche Wesen mancher 
Jünglinge unangenehm berührt; es ist die Überzeugung, daß so ein junger 
Mensch auf ganz verkehrtem Wege ist, der ihn, wenn nicht ins Verderben, 
so doch weit ab von seinem Lebenswege führen muß. Solche, die mit
	        
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