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Wangen. Gute Eltern wachen über die Rosen in seiner Brust, gute
Lehrer befeuchten sie, daß sie gedeihen und zur vollen Blüte kommen.
An jenem Tage aber, wo das Kind zum ersten Male an den
Tisch des Herrn tritt, da betauen sich die zehn Knospen mit den
Freudenthränen der Eltern, und von dem früchtebringenden Hauch
eines göttlichen Evangeliums schwellen sie zu vollen, üppigen Rosen,
und Christi Blut, das iiber des Kindes Lippen fließt, färbt die
Rosen mit dem wunderschönsten Purpurglanz.
So werden die Rosen bis zur Blüte gepflegt; mit ihnen tritt
der Knabe in die Welt, die ihm nicht immer Sonnenschein bietet und
wohl demjenigen, der ihren Keim unversehrt erhält, wenn unter den
Stürmen des Lebens die eine oder die andere der Rosen traurig
das Haupt senkt und ihm klagend zuruft: „Willst du mich denn
sterben lassen?"
In der Brust des bösen Kindes hingegen wollen die Rosen
keine Wurzeln fassen. Der Engel, der an seinem Bette sitzt, wendet
trauernd sein Antlitz ab und kehrt endlich zu dem zurück, der ihn
als Gärtner gesandt. Und an der Stelle der Rosen beginnt nun
das Unkraut zu wuchern, ans diesem wächst mit dem Kinde selbst
ein Dorn empor, der immer größer wird, und um seinen Stamm
windet sich eine Schlange, die auch die letzte Rosenblüte erstickt. —
Also folgen auch die Rosen dem Engel in seinen Himmel zurück, und
auf dem Grabe des Kindes wächst dereinst nur der Dorn, und an
dem großen Rosenbaume droben welkt jene Blüte, aus der einst die
zehn Körner in seine Brust gefallen, denn sie trauert um eine ver¬
lorene Seele.
Am Sarge des guten Kindes jedoch flicht der Engel zehn
weiße Rosen um die bleiche Stirn desselben zu einem Kranze; die
Rosen folgen ihm ins Grab, schlagen dort neue Wurzeln, wachsen
aus dem Hügel und sagen der Welt: „Hier ruht ein gutes Kind!"
Und das Abendrot leuchtet doppelt so schön über dem Grabe,
der große Rosenbaum droben rauscht mit seinen Blättern, auf seinen
Zweigen sitzen Millionen von Engeln, die empfangen mit lieblichem
Gesang den Bruder, der ihnen die Seele des guten Kindes, einen
neuen Gespielen hinaufbringt.
Die zehn Rosen aber sind die zehn Rosen vom Sinai, die
zehn Gebote Gottes. Wachenhusen.
188. Die drei Blicke.
Ein frommer Mann wurde einst gefragt, woher es komme, daß er
trotz aller Drangsale des Lebens doch solchen Gleichmut in sich bewahren
könne. Er antwortete: „Das kommt daher, daß ich meine Augen wohl in
acht nehme; denn alles Böse kommt durch die Sinne zum Herzen, aber
auch das Gute." — Auf die weitere Frage, wie er es mache, sagte er:
„Jeden Morgen, ehe ich an die Geschäfte und unter die Menschen gehe,