Full text: [Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.]] (Teil 2 = 7. u. 8. Schulj, [Schülerbd.])

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Hirn umherspritzte; man verbrannte mehrere an langsam brennendem Feuer; 
man schnitt anderen mit wilder Gier den Leib auf, um zu sehen, ob sie nicht 
Gold oder Kostbarkeiten, der Rettung wegen, verschluckt hätten. Von 
40000 oder, wie morgenländische Geschichtsschreiber melden, von 70000 
Sarazenen blieben nicht so viele am Leben, als erforderlich waren, ihre 
Glaubensgenossen zu beerdigen. Arme Christen mußten nachher bei diesem 
Geschäfte Hilfe leisten, und viele Leichname wurden verbrannt, teils damit 
sich nicht bei längerer Zögerung ansteckende Krankheiten erzeugen möchten, 
teils weil man hoffte, selbst in der Asche noch Kostbarkeiten aufzufinden. 
Endlich war nichts mehr zu morden und zu plündern. Da reinigten 
sich die Pilger vom Blute, entblößten Haupt und Füße und zogen unter 
Lobgesängen zur Leidens- und Auferstehungskirche. Feierlich wurden sie 
hier von den Geistlichen empfangen, welche mit tiefer Rührung für die 
Lösung aus der Gewalt der Ungläubigen dankten, keinen aber mehr erhoben 
als Peter den Einsiedler, weil dieser ihnen vor fünf Jahren Hilfe zugesichert 
und sein Wort gehalten hatte. Alle Pilger weinten vor Freuden, konnten 
sich nicht satt sehen an den heiligen Stätten, ivollten jegliches beriihren und 
beichteten ihre Sünden und gelobten Besserung mit lauter Stimme. So 
feurig war der Glaube, daß viele nachher beschwuren, sie hätten Gestalten 
der in den früheren Schlachten umgekonnnenen Briider neben sich wandeln 
gesehen, ja der Bischof Ademar von Puy habe einem erstaunt Fragenden 
geantwortet: „Nicht er allein, sondern alle verstorbenen Kreuzfahrer wären 
auferstanden, um an den Freuden des Sieges teilzunehmen." Der 
Himmel sei allen erworben, Gott sei allen gnädig für das große Werk: das 
war die feste Überzeugung, die unwandelbare Hoffnung. 
So ward Jerusalem erobert am 39. Tage der Umlagerung, am 
15. Julius des Jahres 1099. Fr. v. Raumer. 
15. Friedrich Barbarossa und Heinrich der Löwe. 
Selten sind in Deutschland zwei solche Männer ilebeneinander ge¬ 
wesen wie Heinrich der Löwe und Friedrich der Rotbart, jeder an der 
Spitze eines reichen, hochgeehrten Geschlechts, jeder mit ungeheurer Macht. 
Wie die zwei Vorfechter Deutschlands standen sie da, der Löwe im Norden, 
der Rotbart im Süden, jeder mit blitzendem Schwerte. Nichts fehlte dem 
Löwen, um seinem Vetter, dem Rotbart, in allen Stücken zu gleichen, als die 
schimmernde Krone auf dem Haupte; und wohl strebte er auch danach, sich im 
Norden ein eigenes Reich zu gründen. Er erzwang sich von seinem Vasallen, 
dem Grafen von Holstein, den Besitz des wichtigen Handelsplatzes Lübeck, 
gab Liibeck Stadtrecht, Markt-, Münz- und Zollrecht dazu. Der Kaiser, 
der ihn gar hoch in Ehren hielt, verlieh ihm das königliche Recht: jenseit 
der Elbe Bistümer zu gründen und die Bischöfe zu belehnen. So war der 
Löwe im deutschen Norden auf dem Gipfel der Macht; alle benachbarten 
deutschen Fürsten beneideten ihn, seine Vasallen fürchteten, die Geistlichen 
haßten ihn im stillen, weil er, wiewohl er viele Kirchen und Klöster reich 
begabte, die Bischöfe bloß wie seine Diener behandelte. Darum geschah's
	        
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