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319. Die Glieder des Leibes»
Vorzeiten lehnten die Bürger zu Rom sich wider den Rat
auf und machten einen großen Aufruhr in der Meinung, es wäre
unrecht, daß sie sieh's müßten lassen in ihrer Arbeit so sauer
werden; und was sie mit ihren Händen verdienten, müßten sie
dem Rate geben und ihn damit nach seinem Belieben handeln
lassen. Sie zogen deswegen zur Stadt hinaus auf einen Berg und
entschlossen sich, dem Rate nichts mehr zu geben, auch nicht
mehr zu arbeiten. Da ging ein feiner, verständiger Mann, Mencniis
Agrippa genannt, zu ihnen hinaus und erzählte ihnen ein solches
Gleichnis:
Die Glieder des menschlichen Leibes wären einmal unwillig
geworden und hätten sieh wider den Magen aufgelehnt. Sie müßten
immer arbeiten und das Ihre tun: die Füße müßten laufen, die
Augen umhersehen, die Hände geschäftig sein, die Zähne müßten
kauen usw., und das käme alles dem Magen zum besten; Vier
dürfte nichts tun als nur annehmen und verzehren, was1 sie ihm
vorarbeiteten. Deswegen wären die Glieder eins geworden, es
sollte keins von ihnen mehr etwas tun; die Füße sollen nicht mehr
laufen, die Augen nicht mehr umhersehen, die Hände nicht mehr
geschäftig sein, die Zähne nicht mehr kauen, damit der Magen
einmal sehe und spüre, daß nicht alles an ihm gelegen wäre. Als
sie nun dieses etliche Tage ins Werk gesetzt, waren die Füße
schwach, die Augen trübe, die Hände laß und der ganze Leib
kraftlos geworden, weil der Magen keine Speise mehr bereiten und
sie den Gliedern mitteilen konnte. Da mußten sie nun' ihre Unbe¬
sonnenheit erkennen und gestehen, daß ein jedes Glied schuldig sei,
dem Magen und ihm selbst zum besten das Seine zu verrichten,
wollten sie nicht bald sich selbst gründlich verderben. Denn es
sei nicht an dem, daß nur die Glieder dem Magen dienten, sondern
es diene auch der Magen hinwiederum den Gliedern. — Mit diesem
Gleichnis brachte Agrippa die römischen Bürger zu anderen Ge¬
danken, daß sie wieder heimkehrten und das Ihre taten.
Caspar!.
320. Die Obrigkeit.
Es muß Obrigkeit in der Welt sein, damit Recht und Ordnung er¬
halten werde. Denn was meinst du, würde aus einem Lande werden, wo
keine Obrigkeit wäre? Sie würden sich allesamt die Hälse brechen, und
wer den andern vermöchte, der träte ihn mit Füßen. Obrigkeit ist eine
göttliche Ordnung. Und durch diese göttliche Ordnung erhält Gott zeitlichen
Frieden und alles, was unter der Sonne geschieht. Wo die Obrigkeit auf¬
gehoben wird, so werden die ärgsten Buben regieren, die nicht wert sind,
daß sie die Schüssel sollten waschen. Ein guter Fürst ist nicht mit Geld zu
bezahlen und ist nicht genug dafür zu danken. Und Summa, nach dem
Evangelio ist auf Erden kein besser Kleinod, kein größerer Schatz, kein
reicher Almosen, kein schöner Stift, kein feiner Gut denn christliche Obrigkeit,
die das Recht schaffet und hält den Gottesfürchtigen und steuert den Gott-