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Mittlerweile ist die Zeit des ärztlichen Besuches herangekommen.
In Begleitung seines Assistenten tritt der leitende Arzt des Krankenhauses
ein, gefolgt von der vorstehenden Schwester. Die Kranken, die schon
aufgestanden sind, treten an das Fußende ihres Bettes. Das ist eine
große Erleichterung für die Ärzte; denn jedes Bett ist mit einer Tafel
versehen, auf der Name und Krankheit des Patienten vermerkt sind.
Mit scharfem Blick überfliegt der Oberarzt die mehr oder minder
elenden Gestalten. Knapp und kurz sind seine Fragen, und ebenso kurz,
aber klar und bestimmt müssen die Antworten der Schwester sein. Das
ist nicht leicht. Im Anfang hat Schwester Dora geantwortet: „Ich denke
— ich glaube." Aber der alte Herr blickte sie spöttisch an und erwiderte
scharf: „Über Ihre Gedanken und Ihren Glauben können Sie mir ein
andermal Mitteilung machen. Jetzt möchte ich wissen: Hat die Kranke in
dieser Nacht geschlafen oder nicht?" —
Schwester Dora wird noch heute rot, wenn sie daran denkt. Es
will eben alles gelernt sein. Mit gutem Willen und vieler Mühe hat
sie sich eine knappe, klare Ausdrucksweise angeeignet und erstattet nun
Bericht, löst die Verbünde zur Untersuchung, reicht das Hörrohr oder
sonstige Geräte, deren die Ärzte gerade bedürfen; sie versteht, ihrem Vor¬
gesetzten eine wirkliche Hilfe zu sein. Aufmerksam lauscht sie dann den
neuen Anordnungen des Oberarztes. Zwar notiert Schwester Elisabeth
dieselben; aber es gibt dabei so viel zu beachten, daß der Stift nur das
Wichtigste aufschreiben kann. Die hunderterlei Kleinigkeiten müssen im
Gedächtnis haften bleiben.
5. Sobald die Ärzte sich entfernt haben, bricht in der stillen Kranken¬
stube eine allgemeine Erregung aus.
„Bitte, Schwester Dora, wollen Sie mir wieder die Binde umlegen!"
„Herr Doktor hat mir erlaubt aufzustehen. Bitte, geben Sie mir
meine Kleider, Schwester!"
„Schwester, möchten Sie mir bald das Bein massieren? Herr
Doktor meinte, das würde die Schmerzen lindern; es tut so weh."
„Tut die Jodeinpinselung auch nicht weh?"
„Machen Sie mir die feuchte Einpackung gleich, Schwester?"
So schwirren die Fragen um das junge Mädchen. Dabei schmiegt
sich das Kind an die geliebte Pflegerin.
„Meine Mutter soll mich morgen abholen. Ich freue mich so sehr,
wieder nach Hause zu kommen. Aber nach Ihnen werde ich mich sehr
bangen, Schwester Dorchen."
Freundlich streicht die Schwester über das lockige Köpfchen.