II. v. Sybel, Erste Jahre des Bundestags. 31
Täuschung gewesen: jetzt waren sie unermüdliche Verfechter jener Sätze
der Wiener Schlußakte geworden, daß der Bund nur ein völkerrecht¬
licher Verein unabhängiger Staaten und zur Einmischung in die
innern Landesverhältnisse gar nicht befugt sei. Manche süddeutsche
Regierung war sehr zufrieden mit dieser Wendung; sielen ihr die
Kammern auch jetzt oft noch lästig genug, so fand sie doch, daß aus
deren Verhandlungen sich allmählich ein ganz solider Lokalpatriotismus
und ein heimisches Staatsbewußtsein herausbilde, welches die bedroh¬
lichen Träume der Burschenschaft gründlich verscheuche. In der That,
wer mochte damals noch singen und sagen von des deutschen Volkes
Kraft und Heldentum? Mit Bewunderung und Neid blickten jetzt
die Sieger von 1815 ans das besiegte Frankreich, wo unter einer
freien Verfassung glänzende parlamentarische Parteikämpfe die Auf¬
merksamkeit Europas feffelten und die Begeisterung der deutschen
Jugend entzündeten. Man konnte bedauern, daß damit manche irrige
und bedenkliche Anschauung auf den deutschen Boden verpflanzt wurde:
aber was half es? auch der wärmste deutsche Patriot konnte nicht in
Abrede stellen, daß die französische Charte eine bessere Verfassung als
die deutsche Bundesakte war, und die Pariser Kammerdebatten eine
anziehendere Lektüre als die der Bundestags-Protokolle darboten —
deren Veröffentlichung Metternich übrigens 1824 wegen ihrer Inhalts¬
losigkeit einstellen ließ. Mit innerer Freude begrüßte man jede
flammende Rede, welche Foy oder Manuel gegen die feudalen und
klerikalen Ultras in Frankreich schleuderten; die schneidenden Worte
trafen ja dieselbe Staatsweisheit, welcher Metternich und seine Berliner
Verehrer mit prunkender Andacht huldigten. Vollends hingerissen
aber nahm man für den großen George Canning Partei, als er den
reaktionären Mächten das stolze Wort entgegen rief, daß England
berufen sei, für die Freiheit ber Völker einzutreten, unb über bie
Schläuche bes Aeolus verfüge, um nach Gutbüuken bie Stürme ber
Revolution über bie Gegner Englanbs loszulassen. Ein solches Ent¬
zücken über bie Angriffe bes Auslanbes aus bie leitenden Bundes-
ftaaten setzte das Absterben des patriotischen Gefühls in trauriges
Licht; wie hätte es aber anders sein können nach dem langen Ver¬
nichtungskrieg, den Metternich und seine Helfer über den deutschen
Nationalgedanken verhängt hatten? Es war ihrer Staatskunst ge¬
lungen, das deutsche Publikum wieder einmal zugleich partikularistisch
und kosmopolitisch zu machen.
Zu dem Bilde jener trüben Zeit gehört nun schließlich noch der