50
Sein Instinkt findet überall den Pfad. Er auch wittert jede Gefahr,
und müssen im Winter die oft allzutief und fern verborgenen Vorräte
aufgesucht werden, so vermag nur Gedächtnis und Geruch dieser Tiere
das Verlorene wieder zu erreichen. Daher ist Reichtum an Hunden der
Stolz und deren Pflege ein Hauptgeschäft des Tschuktschen. Mit ihnen
teilt er das Lager und Mahl, und obgleich fein Aberglaube sie
zuweilen grausamen Mißhandlungen unterwirft, bewährt das edle
Geschöpf doch auch dort den alten Ruhm der Treue. So hoher
Wichtigkeit eingedenkt, begreift man endlich, daß der Polarmensch unter
Umständen alles für dasselbe opfert. Inzwischen treten solche Fälle glück¬
licherweise selten ein. Auch bleibt der Tschuktsche mitten unter den
Entbehrungen des nordischen Lebens gesund. Während der überwinternde
Europäer in seinem bleichen, wachsartig glänzenden Gesicht, im hohlen
Blick der Augen, in der Schwäche der Glieder den ungeheuren Zwang
erkennen läßt, dem seine Natur unterworfen worden ist, weiß jener kaum
von einer Krankheit. Nur die „Schneeblindheit" stellt sich häufig ein,
— ein Leiden, welches die Wüste des Pols mit der des Äquators gemein
hat. Dort, wie hier, lähmt die Gewalt des von den unermeßlichen
Flächen blendend zurückstrahlenden Lichtes den Sinn; ein dumpfer
Schmerz verrät die Entzündung, und allmählich legt sich's um das Auge
wie eine Hülle, die immer dichter werdend zuletzt den Menschen in hilf¬
lose stacht begräbt. Doch auch dieses Übel trifft den Europäer öfter und
stärker als den Eingeborenen. Ihn schützt schon die äußere Form und
Stellung der zum Fernblick gebildeten Äugen, die schief und gedeckt
zwischen stark vordringenden Knochen liegen. Aber der Schmerz lehrt
ihn auch Gegenmittel finden. Er streut sich Tabak in das Auge, oder
er steckt Nadeln durch die Haut der Nasenwurzel und trägt sie tagelang.
Solche Mittel lindern wenigstens das Übel; in jedem Falle bringt, wie
in so vielen Krankheiten, der Frühling dauernde Heilung.
7. Verkündigt diesen endlich der Südost mit den heranziehenden
Schwärmen der Wasservögel, dann lebt auch der TroglodytH des Poles
auf. Er vertauscht seine tierische Vermummung mit der leichten Kamlaika,
die, aus den Darmhäuten des Seehundes gefertigt, einem Mönchsgewand
ähnlich Kopf und Leib umhüllt, er greift zu den Waffen, und nun eilt
er auf das Wasser, um dort seine Ernten zu halten. Das ist sein Acker,
seine Heimat. Wer ihn nur gesehen hat in der Juronga, träger Ruhe
hingegeben, der kennt den kühnen Nomaden des Meeres nicht. Denn
erst im Kampfe mit dem Elemente und dessen gewaltiger Tierwelt
offenbart er den angeborenen Mut und die ganze List und Kraft des
Naturmenschen. Da ist sogleich das Fahrzeug, in welchem er Tage
hindurch den Stürmen trotzt, ein wahres Wunder des Scharfsinns, —
so ureinfach, daß es genau in derselben Gestalt bei den entferntesten
Polarvölkern wiederkehrt, und doch in seiner Einfachheit so vollkommen,
daß vielleicht selbst das Genie, welches das Dampfschiff erfand, nichts Besseres
an die Stelle zu setzen gehabt hätte. Wie der GauchoZ nicht ohne sein
0 Der Trogl odyt, der Höhenbewohner (von Völkerschaften und
Personen gebraucht). — *) Die Gauchos (spr. GL-utschos), die mit Vieh¬
zucht beschäftigten Abkömmlinge der Spanier in den Pampas, sämtlich aus¬
gezeichnete Reiter.