Aus 6e* deutschen Geschichte.
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137. Der SieinReil. Kai-i Nagelslein.
„Vater, sieh! Ein schöner Stein!“
Der Vater schaut sich nach seinem Knaben um. Dieser hält
einen länglichen, glatten Stein in der Hand.
„Wo hast du ihn gefunden?“
„Am Knick; dort, wo der Graben gestern geöffnet wurde.“
Der Vater wischt mit dem Zipfel des Arbeitsrockes den Sand
von dem Fund. „Richtig! — ein Steinkeil! Aus gelbgrauem Flint,
sauber poliert, ohne Schrammen und Scharten.“
„Den schenk’ ich meinem Lehrer!“ ruft der Junge. — Der Alte
winkt nur mit dem Kopfe. Man „schwatzt“ bei uns nicht viel.
Am andern Morgen wippt der Hans vor Schulzeit auf seinem
Platze wie eine Bachstelze hin und her. Endlich tritt der Lehrer ein.
Wie der Blitz ist unser Hans vor dem Podium und hält mit wichtiger
Miene seinen Fund hin. — „Den Stein fand ich am Knick! Mein
Vater sagt, es sei ein Steinkeil.“
Der Lehrer besieht ihn von allen Seiten. „Freilich, ja! — Vor
vielen tausend Jahren sah es hier anders aus. Nichts als Wald und
Wald. Drinnen riesige Eichen und Buchen. Drunten heulte nachts
der Wolf, und in den Lüften gellte der Adler. Wisent und Elch durch¬
brachen krachend das Gebüsch, und in den Höhlen hauste der Bär. —
Und dort am Bach ist eine Hütte, aus Baumstämmen grob gefügt.
Rundum ein Zaun zum Schutz gegen hereinbrechende Feinde. Drinnen
ein hochgewachsener Germane mit seinem blonden Weib und seinen
weißköpfigen Buben, denen das Haar wie ein vom Wind zerzaustes
Strohdach herunterhängt. Und an dem Mahlstein links am Eingang
der Sklave, den der Vater vor Jahren aus heißer Feldschlacht mit¬
brachte. Ein Tierfell hängt ihm, von einem starken Dorne zusammen¬
gehalten, von der Schulter. — Nacht ist's, und der Sturm heult ums
Haus. Wodan mit seiner Meute zieht heulend durch die Lüfte. Der
älteste Bub in der Hütte erwacht. Plötzlich ein Krachen, Brechen
und gewaltiges Fallen.. .. Am andern Morgen zieht der Vater mit
seinen Buben hinaus, um die Buche, die der Sturm zerbarst, zu
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