Full text: Deutsche Jugend ([Teil 5 = 6. - 8. Schulj., [Schülerbd.]])

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lernet glauben, singet, seid fröhlich und lasset euren himmlischen Vater 
für euch sorgen.“ 
„Sehet, Leute,“ fuhr der Klosterbruder fort, „daheim vor dem 
Fensterlein meiner Zelle steht ein Kraut im Topfe. Der Bruder Gärtner 
heißt es Reseda, und der Geruch seiner Blüte übertrifft alle Würze. 
Dieses Kraut besucht je um Ägidi ein Sommervogel, weiß, mit etlichen 
Flecken auf seinen Flügeln. Der legt seine Eier mitten unter die Blätter, 
je eins und eins fern voneinander, daß sie nicht naß werden von Tau 
und Regen, und daß die Jungen einander die Nahrung nicht schmälern. 
Die Eier aber kleben mit dem offenen Ende am Blatt, und wenn nun 
das Junge darin aus seinem Schlafe aufwacht und heraus will, findet es 
den Ausgang versperrt, aber nicht mit Eisen, Stein oder Holz, sondern 
nur mit seinem Futter, das ihm so gut schmeckt und mundet wie unser— 
einem Zibeben und Mandeln. Und wenn es sich durchgespeist hat, streckt 
es sein Köpflein zwei- oder dreimal in die Höhe und weidet dann fort, 
bald zur Rechten, bald zur Linken, wie es will. Der Vater im Himmel 
macht es dem kleinen Würmlein, als schlösset ihr ein Knäblein oder 
Mägdlein in eine stille Kammer, davon die Türe ein großer Pfeffer— 
kuchen ist, und sprächet zu ihm: Jetzt schlaf! und wenn du aufwachst 
und willst zu uns heraus in den Sonnenschein, so mußt du dich durch 
den Honigkuchen hindurchessen.“ So aber Gott für ein Würmlein also 
sorgt, das heute lebt und morgen dem Sperling zur Speise dient, sollte 
er das nicht vielmehr euren Kindlein tun? O ihr Kleingläubigen!“ 
Und da es Zeit war, erhoben sich auch die drei Dienstboten des 
Bauern vom Tische, bückten sich tief vor dem Priester und gingen ihres 
Weges, mit ihnen der Begleiter des Mönchs. Die Bäuerin schaute ihnen 
nach und seufzte: „Wie schwer sind die Dienstboten in unserer Zeit zu 
regieren!“ „Wohl,“ versetzte der Klosterbruder, „aber auch mit Kurz⸗ 
weil und Fabeln, wenn man sie wohl zu gebrauchen weiß. Daß ich ein 
Exempel gebe: Wenn's einem Knechte zu wohl ist und will's besser und 
spricht in seinem Herzen: Bei meinem Herrn habe ich zwar alles sicher, 
Jahr um Jahr fünf Gulden und Leinwerk zu zwei Hemden und einen 
Schurz, aber nichts darüber; beim Kronenwirt in Schwabach gibt's 
zwar keinen Lohn, aber viel Trinkgeld und Unterhaltung, denn das 
Fuhrwerken geht Tag und Nacht; zu dem will ich mich verdingen — 
diesem Knechte wollte ich erzählen: Es war einmal ein Hündlein, das 
strich eines Morgens durch die Fleischbank und erhaschte eine Kalbs— 
lunge. Zuerst lief es aus Leibeskräften, weil die Metzger hinter ihm 
drein waren; zuletzt, da seine Verfolger umkehrten, ging es langsam
	        
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