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Hagen, ein burgundischer Recke, erbot sich, die Schmach seiner
Königin, der er Treue gelobt hatte, blutig zu rächen. Unter dem
Vorwände, Siegfried auf der bevorstehenden Heerfahrt schützen
zu wollen, wußte er der durch Träume geängstigten Kriemhilde
das Geheimnis der Verwundbarkeit ihres Gatten zu entlocken.
Ein auf die Schulter genähtes Kreuz sollte Hagen die einzige ver¬
wundbare Stelle Siegfrieds bezeichnen. Wie verabredet worden
war, wurde statt des Kriegszuges eine Jagd im Odenwalde unter¬
nommen. Hier sollte nun der Mordplan im Einverständnis mit
Günther und seinen Brüdern ausgeführt werden. Als Siegfried
sich an einem Quell zum Trinken niederließ, schleuderte ihm Hagen
den Ger in die Schulter. Wie ein roter Strom quillt das Blut aus
der Wunde hervor. Tobend vor Schmerz und Wut, schlägt Sieg¬
fried mit seinem schweren Schilde auf den Mörder los, der
strauchelnd zu Boden stürzt.
»Da fiel in die Blumen der Kriemhilde Mann.
das Blut von seiner Wunde stromweis nieder rann.
Da begann er die zu schelten, ihn zwang die große Not,
die da geraten hatten mit Untreue seinen Tod.«
Seine letzten Worte galten seinem treuen Weibe. Auf den
„goldroten" Schild gebettet, wurde die Leiche des Nachts nach
Worms gebracht. Am nächsten Morgen erfuhr Kriemhilde den
Tod ihres Gatten.
Da sank sie zu der Erde, sie redete nicht ein Wort,
die schöne freudelose lag an dem Boden dort.
Der edlen Fürstin Jammer war ohne Maßen groß,
von ihrem Schreie hallte die Kammer und das Schloß.
Überall erhob sich ein lautes Wehklagen um den herrlichen
Helden. Siegfrieds Mannen griffen zu den Schwertern, um den
Königsmord zu rächen. Nur mit großer Mühe kann sie Kriemhilde
zurückhalten. Sie errät den Mörder wohl, und das alte Bahrrecht
bestätigt ihr die Vermutung. Die trauernde Kriemhilde bleibt auch
ferner in Worms; sie kann sich von der Grabstätte des teuren
Toten nicht trennen. Reiche Gaben spendet sie aus dem Nibelungen¬
hort und findet darin einen kleinen Trost. Aber selbst diesen raubt
ihr Hagen, indem er, von ihrer Freigebigkeit Gefahr fürchtend,
die Schätze in den Rheinstrom versenken läßt. In ihren heiligsten
Gefühlen gekränkt, verwandelt sich nun Kriemhildens Liebe und
Sanftmut in Haß und Rachsucht. Nur ein Gedanke beherrscht sie
noch, nämlich sich zu rächen an dem Mörder ihres geliebten Gatten.
Dreizehn Jahre lebte Kriemhilde als Witwe in Worms,
trauernd um Siegfried. Endlich schien sich ihr Gelegenheit zu
bieten, den Racheplan auszuführen: der mächtige Etzel, der
K ö n i g der H u n n e n , warb um ihre Hand. Nachdem ihr sein
Freiwerber, der Markgraf Rüdiger von B e ch l a r n , mit