Full text: Deutsche Jugend ([Teil 5 = 6. - 8. Schulj., [Schülerbd.]])

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Hagen, ein burgundischer Recke, erbot sich, die Schmach seiner 
Königin, der er Treue gelobt hatte, blutig zu rächen. Unter dem 
Vorwände, Siegfried auf der bevorstehenden Heerfahrt schützen 
zu wollen, wußte er der durch Träume geängstigten Kriemhilde 
das Geheimnis der Verwundbarkeit ihres Gatten zu entlocken. 
Ein auf die Schulter genähtes Kreuz sollte Hagen die einzige ver¬ 
wundbare Stelle Siegfrieds bezeichnen. Wie verabredet worden 
war, wurde statt des Kriegszuges eine Jagd im Odenwalde unter¬ 
nommen. Hier sollte nun der Mordplan im Einverständnis mit 
Günther und seinen Brüdern ausgeführt werden. Als Siegfried 
sich an einem Quell zum Trinken niederließ, schleuderte ihm Hagen 
den Ger in die Schulter. Wie ein roter Strom quillt das Blut aus 
der Wunde hervor. Tobend vor Schmerz und Wut, schlägt Sieg¬ 
fried mit seinem schweren Schilde auf den Mörder los, der 
strauchelnd zu Boden stürzt. 
»Da fiel in die Blumen der Kriemhilde Mann. 
das Blut von seiner Wunde stromweis nieder rann. 
Da begann er die zu schelten, ihn zwang die große Not, 
die da geraten hatten mit Untreue seinen Tod.« 
Seine letzten Worte galten seinem treuen Weibe. Auf den 
„goldroten" Schild gebettet, wurde die Leiche des Nachts nach 
Worms gebracht. Am nächsten Morgen erfuhr Kriemhilde den 
Tod ihres Gatten. 
Da sank sie zu der Erde, sie redete nicht ein Wort, 
die schöne freudelose lag an dem Boden dort. 
Der edlen Fürstin Jammer war ohne Maßen groß, 
von ihrem Schreie hallte die Kammer und das Schloß. 
Überall erhob sich ein lautes Wehklagen um den herrlichen 
Helden. Siegfrieds Mannen griffen zu den Schwertern, um den 
Königsmord zu rächen. Nur mit großer Mühe kann sie Kriemhilde 
zurückhalten. Sie errät den Mörder wohl, und das alte Bahrrecht 
bestätigt ihr die Vermutung. Die trauernde Kriemhilde bleibt auch 
ferner in Worms; sie kann sich von der Grabstätte des teuren 
Toten nicht trennen. Reiche Gaben spendet sie aus dem Nibelungen¬ 
hort und findet darin einen kleinen Trost. Aber selbst diesen raubt 
ihr Hagen, indem er, von ihrer Freigebigkeit Gefahr fürchtend, 
die Schätze in den Rheinstrom versenken läßt. In ihren heiligsten 
Gefühlen gekränkt, verwandelt sich nun Kriemhildens Liebe und 
Sanftmut in Haß und Rachsucht. Nur ein Gedanke beherrscht sie 
noch, nämlich sich zu rächen an dem Mörder ihres geliebten Gatten. 
Dreizehn Jahre lebte Kriemhilde als Witwe in Worms, 
trauernd um Siegfried. Endlich schien sich ihr Gelegenheit zu 
bieten, den Racheplan auszuführen: der mächtige Etzel, der 
K ö n i g der H u n n e n , warb um ihre Hand. Nachdem ihr sein 
Freiwerber, der Markgraf Rüdiger von B e ch l a r n , mit
	        
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