Full text: Lehr- und Lesebuch oder der sinnliche und sittliche Anschauungsunterricht für die Mittelklassen katholischer Volksschulen

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ihn erblickte, sprach: „(§§ ist schade, daß ich keine Kugel geladen habe," 
legte an und schoß dem Wolfe das Schrot ins Gesicht. Der Wolf 
verzog das Gesicht gewaltig, doch ließ er sich nicht schrecken und ging 
vorwärts. Da gab ihm der Jäger die zweite Ladung. Der Wolf 
verbiß den Schmerz und rückte dem Jäger doch zu Leibe. Da zog 
dieser seinen Hirschfänger und gab ihm links und rechts tüchtige Hiebe, 
daß er über und über blutend und heulend zu dem Fuchse zurück lief. 
„Nun, Bruder Wolf," sprach der Fuchs, „wie bist du mit dem Men¬ 
schen fertig geworden?" — „Ach," antwortete der Wolf, „so habe 
ich mir die Stärke des Menschen nicht vorgestellt! Erst nahm er einen 
Stock von der Schulter und blies hinein: da flog mir etwas ins Ge¬ 
sicht, das kitzelte mich ganz entsetzlich. Darnach blies er noch ein¬ 
mal in den Stock; da flog mir's um die Nase wie Blitz und Hagel¬ 
wetter. Und als ich ganz nahe war, da zog er eine blanke Rippe 
aus dem Leibe; damit hat er so auf mich losgeschlagen, daß ich beinah' 
todt wär' liegen geblieben." — „Siehst feu," sprach der Fuchs, „was 
du für ein Prahlhans bist?" 
10. Gott und die Eltern. 
Zwei Eltern hat ein Menschenkind, doch einen Gott, nicht mehr, 
und wenn gestorben beide sind, am Leben ist noch er. 
11. Wo wohnt der liebe Gott? 
Wo wohnt der liebe Gott? Sieh dort den blauen Himmel 
an, wie fest er steht so lange Zeit, sich wölbt so hoch, sich streckt so 
weit, daß ihn kein Mensch erfassen kann; und sieh der Sterne gold- 
ncn Schein, gleich als viel tausend Fensterlein: das ist des lieben 
Gottes Haus, da wohnt er drin und schaut heraus, und schaut mit 
Bateraugen nieder auf dich und alle deine Brüder. 
Wo wohnt der liebe Gott? Hinaus tritt in den dunklen 
Wald, die Berge sieh zum Himmel gehn, die Felsen, die wie 
Säulen stehn, der Bäume ragende Gestalt; horch, wie cs in den 
Wipfeln rauscht, horch, wie's im stillen Thale lauscht. Dir 
schlägt das Herz, du merkst es bald, der liebe Gott wohnt in dem 
Wald; dein Auge zwar kann ihn nicht sehen, doch fühlst du seines 
Odems Wehen. 
Wo wohnt der liebe Gott? Hörst du der Glocken hellen 
Klang? Zur Kirche rufen sie dich hin. Wie ernst, wie freundlich 
iffs darin! Wie singen sie mit frommer Lust! Wie beten sie aus 
tiefer Brust! Das macht, der Herr Gott wohnet da; drum kommen 
sie von fern und nah, hier vor sein Angesicht zu treten, zu flehn, 
zu danken, anzubeten. 
Wo wohnt der liebe Gott? Die ganze Schöpfung ist 
sein Haus. Doch wenn cs ihm so wohl gefällt, so wählet in der 
weiten Welt er sich die engste Kammer aus. Wie ist das Menschen-
	        
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