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die Kleinen große Spitzbuben werden, wenn die Eltern selbst
sie so frühe betrügen. Aber auch zur Gewalt schreiten die
alten Spatzen bei solcher Gelegenheit. Sie packen ohne weiteres
die Nesthocker und zerren sie heraus. Und sieh! die Alten
haben recht geurteilt, die Jungen können schon von Dach zu
Dach, von Baum zu Baum fliegen. Mit jedem Tag ihres Wachs¬
tums und ihrer zunehmenden Fertigkeit im Fliegen sehen sie
neue Freveltaten ihrer Anführer. Sie werden mit den Spalten
vertraut gemacht, die auf die Fruchtböden führen, mit den
Bäumen, welche die süßesten Kirschen tragen, mit den Käse¬
körben, die ohne Drahtgitter oder schlecht verwahrt sind, mit
den Höfen, wo junges Federvieh gemästet wird. Aber sie
werden auch schon frühzeitig gewarnt, wenn ihnen Gefahr
droht, und es wird ihnen gelehrt, von ihren Diebereien mit
heiler Haut zurückzukehren. Sind die Felder leer, die Früchte
ausgedroschen, und tritt der Winter vor die Tür, dann ziehen
sich die Sperlinge in die Höfe zurück. Not lehrt sie sorgen
und arbeiten. Das ist ein Suchen und ein Umwenden der leer¬
gedroschenen Weizenähren, ein Auseinanderpicken des Keh¬
richts, ein Vorliebnehmen mit der magersten Kost, daß die
weichherzige Hausfrau die ihr zur Sommerzeit gestohlenen
Erbsen vergißt, der Vater an die Raupen denkt, die sie im
Frühling vertilgt haben, und der wilde Knabe schon in seiner
Phantasie die Nester zählt, aus denen er. ihre Jungen dereinst
nehmen kann. Und wirklich, man füttert auch noch die Diebe,
man gewöhnt sie auf die Fenstergesimse, wo sie, andere Vögel
verdrängend, dreist mit den Schnäbeln an die Fenster pochen,
bis ihnen ihr vermeintliches Recht, ihr standesgemäßes Futter
zuteil wird. Wie leutselig macht die Not, wie brüderlich
gesinnt, wie herablassend! Der hungernde Sperling, der noch
vor kurzem alle Vorüberziehenden ausschalt, sucht sich nun
mit dem Gesinde gut zu stellen. Er folgt ihm auf Weg und
Steg, weil er weiß, daß für ihn da und dort etwas von dem
abfällt, was dem Vieh gebracht wird. Wie sehr gleicht er
hierin gewissen Menschen, die in ruhigen, harmlosen Zeiten
ein stolzes, prahlerisches Wort führen, aber in schlimmen
Zeiten sich retten lassen von denen, die sie verachteten. Das
sind traurige Prüfungstage für unseren Sperling, der wahrlich