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Kraft seiner Stimme fuhr ihnen in die Arme; das Boot ging fort,
und durch den Kamm der Brandung schoß es auf und nieder
schwebend hindurch, gleichsam Schritt für Schritt sich die Bahn er—
kämpfend. Schräg auf sie heran flog das unglückliche Fahrzeug,
dem sie Hilfe brachten. Man sah die beiden Männer, die darin
ruderten; doch mit erschreckender Schnelligkeit trieb jetzt das zu leichte
Boot vor der See daher. Sie preßte den Bug tief ins hohle Wasser,
während der Kamm der Woge das Hinterteil vorwärtsjagte; eine
Weile hielt das führerlos werdende Fahrzeug diesen Tanz noch aus;
dann verschwand der Bug völlig unter der Flut, das Heck stieg
himmelan empor, und das vornüber umschlagende Boot, seine
Ruderer unter sich begrabend, den Kiel nach oben, lag besiegt unter
der Welle, die triumphierend über ihn dahinfuhr.
10. „Ans Steuer, ans Steuer!“ rief der Lotsenkommandeur seinen
Leuten zu, riß sich den Rock von den Schultern, die Schuhe von den
Füßen und sprang über Bord. Einer der beiden Begrabenen —
den anderen sah man nicht wieder — kam nach einer Weile nahe
beim Rettungsboot noch einmal an die Oberfläche empor, suchte einen
Hilferuf hervorzustoßen, den der Wogenschaum vor seinen Lippen
erstickte, und sank dann wehrlos in die Tiefe zurück. Der Cotsen—
kommandeur schwamm der Stelle zu, wo er verschwunden war, und
tauchte nieder. Mit der hinabgreifenden Hand faßte er das dichte
Haar des Ertrinkenden, hob sich dann mit der anderen Hand und
den Füßen an die Cuft empor, den Mann hinter sich her ziehend,
warf ihn auf den Rücken, mit einem plötzlichen Buck, um ihn über
Wasser zu halten, warf sich dann selber auf den Rücken herum, und
nun, den Kopf des anderen sich auf die Brust legend, ihn mit beiden
Händen an den Haaren haltend, schwamm er dem Rettungsboot zu.
Ein Dutzend Wellen fuhren noch unter und über ihm hinweg; dann
sah er einen Remen, ein Paar sich ausstreckende Arme und das ernst—
haft lachende Gesicht des Johann Jakob Evers über seinen Augen;
dann ergriff er den Remen und zog seinen Mann, den die Linke fest—
hielt, mit sich zum Bord hinauf.
U. „Wo ist der andere ?“ fragte er, noch nach Atem ringend
und das Salzwasser von sich wegblasend, als er im Boot neben einem
der Cuftkasten saß. Johann Jakob Evers zuckte stumm mit den Achseln;
die anderen deuleten auf das umgeschlagene Fahrzeug, das dahin—
trieb wie ein toter Fisch, und auf die grauschwarze Tiefe. Hm!“
murmelte der Lotsenkommandeur und seufzte. „Der da rührt sich
auch nicht,“ sagte er dann, wieder am Heck sitzend und, naß wie
ein Meergott, gegen das Ufer steuernd. „Legt ihn aufs Gesicht; einen
Arm unter die Stirn! — Die Kleider herunter; warme Decken...
Will er noch nicht atmen ) Auf die Seite legen; kitzelt ihm die Kehle;
Schnupftabak in die Nasenlöcher. . . Oho! Mit allen Remen strei⸗
chen! Wir drehen ja beil — Werft die Schlepper aus! — Jungens,
vorwärts, vorwärts!“ Adolf Wilbrandt.
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