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26. Die französischen Gesellschaftsklassen und die Bildung der
Zeit. ~ Steigende Unzufriedenheit mit den Staatseinrichtungen
und Mißbräuchen.
Der Absolutismus, welcher die Kräfte des Volkes zu großen Zielen
geeinigt hatte, hatte Frankreich reich und mächtig gemacht. Als er aber
nur der rücksichtslosen Machtentfaltung des Königs und den zügellosen
Ausschweifungen des sittlich verkommenen Hofes diente, trat der Verfall
ein. Die Staatsordnung löste sich auf, und die Gesellschaftsklassen ver-
langten deren Abänderung und Umgestaltung. Dieser Kampf zwischen
Gesellschaft und Staat war umso bedeutsamer, da das französische Volk
damals das gebildetste in Europa war.
Jm 18. Jahrhundert hatte sich in Frankreich infolge des Ausschwunges
unter Ludwig XII]. und Ludwig XIV. eine mächtige Mittelklasse der Be-
wohner entwickelt, welche aus Beamten, Richtern, Advokaten, Ärzten, Jn-
genieuxen, Lehrern, Handwerkern und Grundbesitzern bestand und sowohl in
den Kreisen des Adels und der Geistlichkeit als auch in den breiten Volks-
schichten Anhänger zählte. Dieser Mittelklasse verlieh die Einheit-
lichkeit der französischen Nation, die ähnliche Jnuteressengemeinschaft
und die gleichmäßige Bildung die Kraft des Zusammenhangs. So ent-
wickelte das absolute Regime hier nicht nur die moderne Staatsordnung,
sondern brach auch der modernen Gesellschaftsordnung Bahn. Solange
der Absolutismus für die nationale Größe eintrat, wurde er von dieser
Mittelklasse bereitwillig unterstützt, als er aber nur den egoistischen Zielen
der Herrscher diente, besaß sie Kraft und Mut, sich dagegen zu wenden,
um so eine Änderung der bestehenden Verhältnisse herbeizuführen.
Je tiefer der Verfall des Königtums und des Hofes war, umso
mehr verloren die Einrichtungen von Staat und Kirche ihr Ansehn, und
umso kühner und schonungsloser äußerte sich die Kritik der gebildeten
Schichten des Volkes, welche in den Werken hervorragender Schrift-
steller zum Ausdruck kam. Der Geist der Kritik verbreitete sich unwider-
stehlich und war, als die bevorzugten Klassen ernstlich damit zu rechnen
hatten, nicht mehr der Ausdruck der Meinung der Gebildeten, sondern
des ganzen Volkes, dessen Leidenschaften er mächtig erregt hatte.
In dem nun beginnenden Kampfe bestand die größte Stärke der
Gesellschaft darin, daß sie ihre Waffen aus Wissenschaft und Philosophie
erhielt, und daß sie im Namen der Bildung der Neuzeit kämpfte, die
die Verhältnisse mit der Vernunft in Einklang zu bringen wünschte,