Full text: [[2] = Mittelstufe, [Schülerbd.]] ([[2] = Mittelstufe, [Schülerband]])

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binden sie oben ein rotes Schnupftüchlein daran und stellen dieses 
Notzeichen auf das Dach des Schneehäusleins. Nun kommt die 
Nacht, und das Schneegestöber wird immer ärger. Der Eingang 
zur Höhle, in welcher die Kinder sind, ist zugeschneit, und sie hören 
durch den Schnee hindurch den Uhu schreien und den Sturm heulen. 
O, wie ist es den armen Kindern da angst und bange! Aber der 
liebe Gott wacht über ihnen, und sie schlafen endlich betend ein. — 
Als aber am andern Morgen die Kinder nicht heimkommen, da 
wird den Eltern angst. Sie schicken einen Boten zur Pate, und 
wie dieser wiederkommt, geht alles, was laufen kann, mit Schaufeln 
in den Wald, um die Kinder zu suchen. Da sieht man dann das 
rote Fähnlein noch ein wenig aus dem Schnee hervor schauen, 
und die Leute kennen das Tüchlein und denken gleich: „Da müssen 
auch die Mädchen sein.“ In der dunklen Schneekammer drinnen 
hören die Kinder das Rufen und antworten darauf; aber heraus 
können sie nicht. Die Männer schaufeln jetzt den Schnee weg; denn 
alles ist zugeschneit, und gut war's nur, daß die Tannenbäume das 
schwere Dach von Schnee tragen mochten; die Kinder wären sonst 
erstickt. O, wie freute sich alles, da die Kinder gerettet waren, 
und wie dankte ein jedes dem lieben Gott, der so väterlich die 
Kinder beschützte! Ludwig Staub. 
205. Der Schornsteinfegerlehrling. 
Ein armer Schornsteinfegerjunge mußte auf dem Schlosse der Prin— 
zessin den Schornstein reinigen, der durch den Kamin in ihr Wohnzimmer 
führte. Da er bis zu dem Kamin herabgestiegen war, fand er das Zimmer 
leer und blieb ein Weilchen stehn, um sich an dem Anblicke der schönen 
Sachen zu ergötzen, die darin waren. Am meisten gefiel ihm eine goldene, 
mit Diamanten besetzte Uhr, die auf dem Tische lag. Er konnte sich nicht 
enthalten, sie in die Hand zu nehmen; und da stieg denn der Wunsch in 
ihm auf: „Ach wenn du doch eine solche Uhr hättest!“ Nach einer kleinen 
Pause dachte er: „Wie, wenn du sie mitnähmest! — Aber, pfui, da wärest 
du ja ein Dieb! Doch niemand würde es ja wissen,“ dachte er weiter. 
Allein in eben dem Augenblicke hörte er ein Geräusch im Nebenzimmer; 
geschwind warf er die Uhr wieder hin und eilte in den Schornstein. Als 
er nach Hause gekommen war, konnte er die Uhr immer noch nicht ver— 
gessen. Wo er ging und stand, da war sie ihm vor Augen. Er versuchte 
es, den Gedanken daran los zu werden, aber umsonst. Es war ihm zu 
mute, als wenn ihn einer mit Gewalt wieder zurückzöge. Er konnte 
nicht schlafen und beschloß wieder hinzugehen, um sie zu nehmen. Da 
er in dem Zimmer ankam, fand er alles so still, daß er gar nicht zweifeln 
konnte, er sei allein. Schüchtern trat er zu dem Tische, auf welchem er die 
Uhr bei schwachem Mondscheine liegen sah. Schon streckte er die Hand 
darnach aus, als er neben derselben noch größere Kostbarkeiten, diamantene 
Ohrringe, Armbänder und dergleichen mehr erblickte. „Soll ich?“ so sagte er 
zu sich selbst, indem ihm alle Geder zitterlen; „soll ich? aber wär' ich dann 
nicht ein abscheulicher Mensch mein Lebenlang? könnt' ich wohl jemals 
wieder ruhig schlafen? könnt' ich wohl jemals wieder einem andern frei ins
	        
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